Karl Mannheim studierte Philosophie und Soziologie in Budapest, Freiburg, Berlin, Paris, Heidelberg (unter anderem hört er 1914 in Berlin Georg Simmel). 1918 erlangt er die Promotion. 1919 verlässt er seine Heimat Ungarn und emigriert in der Folge nach Deutschland. Von 1922 bis 1925 habilitierte er bei dem Kultursoziologen Alfred Weber, dem Bruder Max Webers, wurde 1926 Privatdozent in Heidelberg und 1930 ordentlicher Professor für Soziologie der Universität Frankfurt, wo ihm Norbert Elias als Assistent zur Seite stand. 1933 musste Mannheim nach England emigrieren. Dort wurde er bis zu seinem Tode Dozent für Soziologie an der London School of Economics & Political Science.
Beeinflusst insbesondere von Marx, Wilhelm Dilthey, Max Scheler, Max Weber gelangte Mannheim von einer philosophischen Analyse der Erkenntnistheorie zur Entwicklung der Wissenssoziologie. In Anlehnung an Marx hob Mannheim hervor, dass menschliches Denken und Erkennen nicht in rein theoretischem Rahmen ablaufen, sondern von gesellschaftlichen und geschiedenen Lebenszusammenhängen geprägt werden. Mit der Konzeption des "totalen Ideologiebegriffs" nahm Mannheim eine radikale wissenssoziologische Position ein, die Relativismus und Nihilismus begünstigten. Er beschäftigte sich des weiteren mit politischen Krisenerscheinungen in der Massendemokratie. Im Gegensatz zur einseitig geleiteten Gesinnung und zur laisser-faire-liberalistischen Demokratie, die die Gefahr des Umschlagens in eine totalitäre Diktatur einschließt, empfahl Mannheim als dritten Weg die "geplante Demokratie" mit einer "Planung für Freiheit", wobei Planung "als rationale Beherrschung der irrationalen Kräfte" verstanden wird. Die Gesellschaft der "geplanten Freiheit" setzt die Umformung des Menschen voraus und dafür ist eine Zusammenarbeit von Soziologen und Theologen von Bedeutung.
Von Karl Mannheim stammt der Begriff der "frei schwebenden Intelligenz", die von Menschen ausgeht, die sich von einer normativen Bindung an eine Klasse "befreit" haben.
Ebenso gilt er als Pionier der Jugendsoziologie, wobei er den Begriff der Generation benutzte, um Kohorten (Geburtsjahrgänge) zusammen zu fassen, die ein einschneidendes Jugenderlebnis (z. B. den Ersten Weltkrieg) geteilt haben und so gegenüber künftigen sozialen Herausforderungen (Lebenszusammenhängen) erwartbar einander ähnliche soziale Antworten geben würden.
Werke
Die Strukturanalyse der Erkenntnistheorie, Berlin 1922
Ideologie und Utopie, Bonn 1929
Die Gegenwartsaufgaben der Soziologie, Tübingen 1932
Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, Leiden 1935
Diagnosis of or Time, Lodon 1943
Freedom, Power and democratic Planning, Lodon 1951
riesemann - 10. Dez, 12:13
Avram Noam Chomsky ist Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und einer der weltweit bedeutendsten Sprachwissenschaftler. Seine Beiträge zur allgemeinen Sprachwissenschaft förderten den Niedergang des Behaviorismus und den Aufstieg der Kognitionswissenschaft. Neben seiner linguistischen Arbeit gilt Chomsky als einer der bedeutendsten Intellektuellen Nordamerikas und ist als scharfer Kritiker der US-amerikanischen Außenpolitik bekannt. Seine politische Heimat ist der Anarchosyndikalismus.
Leben
Chomsky wurde 1928 in Philadelphia (Pennsylvania) als Sohn des jüdischen Gelehrten William Chomsky geboren. Im Jahr 1945 begann er an der University of Pennsylvania Philosophie und Linguistik zu studieren. Zu seinen Lehrern zählte der Sprachwissenschaftler Zellig Harris. Chomskys anarchistische Überzeugungen bildeten sich schon in den 40er Jahren heraus. Von großer Bedeutung war dabei die Auseinandersetzung mit den anarchistischen Experimenten während des Spanischen Bürgerkriegs. Chomsky hatte in dieser Zeit auch Kontakte zu zionistischen Organisationen.
Anfang der 1950er Jahre verbrachte er einige Jahre in Harvard, bis er 1955 an der Universität von Pennsylvania in Linguistik promovierte. In seiner Doktorarbeit begann er bereits einige der Ideen zu entwickeln, die er 1957 in seinem Buch Syntaktische Strukturen, einem der bekanntesten Werke der Sprachwissenschaft, ausarbeitete.
Nach der Verleihung der Doktorwürde lehrte Chomsky zunächst als Assistenzprofessor, seit 1961 als ordentlicher Professor Linguistik und Philosophie am MIT. In den 1960er Jahren wurden seine revolutionären sprachwissenschaftlichen Arbeiten weltweit anerkannt. Seither gilt er als einer der wichtigsten Theoretiker auf diesem Gebiet.
In dieser Zeit begann Chomsky sich in der Öffentlichkeit deutlicher politisch zu artikulieren. Seit 1964 protestierte er gegen das Eingreifen der USA in Vietnam. 1969 veröffentlichte er "Amerika und die neuen Mandarine", eine Sammlung von Aufsätzen über den Vietnamkrieg. Ebenso deutlich bezog Chomsky Stellung gegen die US-amerikanische Politik in Kuba, Haiti, Ost-Timor, Nicaragua, im Palästinakonflikt und gegenüber den "Schurkenstaaten" sowie zum Golf- und Kosovokrieg, zur Frage der Menschenrechte, zu Globalisierung und neoliberaler Weltordnung. Heute ist er neben seiner weiter unbestrittenen Bedeutung für die Linguistik zu einem der bedeutendsten Kritiker der US-Außenpolitik, der politischen Weltordnung und der Macht der Massenmedien geworden.
In der "New York Times Book Review" wurde Chomsky einmal als der "wichtigste Intellektuelle der Gegenwart" bezeichnet. Noam Chomsky hierzu: "Das Zitat wurde von einem Verlagshaus veröffentlicht. Doch da sollte man immer sehr genau lesen: Wenn man nämlich das Original nachschaut, dann heisst es weiter: 'wenn dies der Fall ist, wie kann er dann solchen Unsinn über die amerikanische Außenpolitik schreiben?' Diesen Zusatz zitiert man nie. Aber um ehrlich zu sein: Gäbe es ihn nicht, würde ich glauben, ich mache etwas falsch."
Wirkung
Noam Chomsky hat die Darstellung von natürlichen Sprachen formalisiert: Die Neuerung war, sprachliche Ausdrücke mit Hilfe einer Metasprache rekursiv zu definieren. Die resultierenden Klassen von Grammatiken können in eine Hierarchie eingeteilt werden, die heute Chomsky-Hierarchie genannt wird. Seine Arbeit stellt einen wichtigen Meilenstein für die moderne Sprachwissenschaft dar.
Formale Sprachen und die Chomsky-Hierarchie spielen auch in der Informatik eine wichtige Rolle, insbesondere in der Komplexitätstheorie und im Compilerbau. Moderne Forscher wie Stephen Pinker bauen auf Chomskys Methodik auf.
Vielen Forschern innerhalb der Computerlinguistik gelten Chomskys Theorien, insbesondere die Generative Transformationsgrammatik und seine Government and Binding-Ansätze, allerdings seit ungefähr 1980 zwar als bedeutende Pionierleistung, jedoch als heute veraltet, insofern sie sich auf natürliche Sprachen beziehen -- im Gegensatz zu Programmiersprachen und anderen formalen Sprachen, wo seine Formalismen weiterhin mit Gewinn verwendet werden können.
Noam Chomsky ist seit 1965 ein führender linker Kritiker der US-amerikanischen Außenpolitik. Seine Vorträge werden außer in Büchern teilweise auch auf CDs veröffentlicht, die beispielsweise auf dem Label Alternative Tentacles von Jello Biafra erscheinen.
Beiträge zur Linguistik
Chomskys 'Syntaktische Strukturen' sind ein Destillat seines Buches “Die logische Struktur der linguistischen Theorie” (1955,1975) in dem er die Transformationsgrammatik einführte. Die Theorie nimmt Äußerungen (Worte, Phrasen, Sätze) und setzt sie mit „Oberflächenstrukturen“ in Zusammenhang, die selbst wieder mit abstrakteren Tiefenstrukturen korrespondieren. (Eine steife und klare Unterscheidung zwischen Oberflächen- und Tiefenstrukturen wird heute in gegenwärtigen Versionen der Theorie nicht mehr vorgenommen.) Umformungsregeln bestimmen zusammen mit den Regeln für die Struktur von Phrasen und anderen Strukturprinzipien sowohl die Erzeugung als auch die Interpretation von Äußerungen. Mit einem begrenzten Instrumentarium von grammatikalischen Regeln und einer endlichen Anzahl von Worten kann eine unbegrenzte Menge von Sätzen gebildet werden. Darunter solche, die noch nie zuvor gesagt wurden. Die Fähigkeit, unsere Äußerungen auf diese Weise zu strukturieren, ist angeboren und somit ein Teil des genetischen Programms des Menschen. Dieses wird Universalgrammatik genannt. Wir sind uns dieser Strukturprinzipien im Allgemeinen genausowenig bewusst, wie wir es uns der meisten unserer biologischen und kognitiven Eigenschaften sind.
Aktuelle Theorien Chomskys (wie sein Minimalismus) stellen strenge Anforderungen an die Universalgrammatik. Grammatikalischen Prinzipien unterliegende Sprachen sind festgelegt und angeboren, der Unterschied zwischen den Weltsprachen kann durch das Setzen von Parametern im Gehirn charakterisiert werden, was oft mit Schaltern verglichen wird (beispielsweise der prodrop Parameter, der anzeigt, ob ein explizites Subjekt wie im Englischen oder Deutschen immer benötigt wird -prodrop, oder es wie im Spanischen oder Italienischen auch wegfallen kann +prodrop). In Abhängigkeit von diesen Parametern weisen Sprachen grammatische Eigenschaften auf, die nicht mehr zusätzlich gelernt werden müssen. Ein Kind, das eine Sprache lernt, müsse nur die notwendigen lexikalischen Einheiten (Worte) und Morpheme erwerben und die Parameter auf passende Werte festlegen, was bereits anhand weniger Beispiele erfolgen könne.
Chomskys Herangehensweise ist durch mehrere Beobachtungen motiviert. Ihn erstaunte zunächst das Tempo, mit dem Kinder Sprachen lernen. Weiterhin stellte er fest, dass Kinder auf der ganzen Welt auf eine ähnliche Weise sprechen lernen. Schließlich bemerkte er, dass Kinder bestimmte typische Fehler machen, wenn sie ihre erste Sprache erlernen, wohingegen andere offensichtlich logische Fehler nicht auftreten.
Chomsky Ideen hatten einen starken Einfluss auf die Untersuchung des kindlichen Spracherwerbs. Die meisten in diesem Bereich arbeitenden Wissenschaftler lehnen Chomskys Theorien jedoch ab und bevorzugen Emergenz- oder Konnektionismustheorien, die auf allgemeinen Verarbeitungsmechanismen im Gehirn aufbauen. Letztlich bleiben aber praktisch alle linguistischen Theorien kontrovers, und so wird auch die Untersuchung des Spracherwerbs aus der Chomskyschen Perspektive fortgeführt.
Generative Grammatik
Chomsky Herangehensweise an die Syntax, oft generative Grammatik genannt, wurde, obwohl sie sehr verbreitet ist, durch viele - insbesondere durch außerhalb der USA arbeitende Forscher, in Frage gestellt. Chomskys syntaktische Analysen sind oft hochgradig abstrakt. Sie beruhen auf der sorgfältigen Untersuchung der Grenze zwischen grammatikalischen und ungrammatikalischen Mustern in konkreten Sprachen. (vergleiche den so genannten pathologischen Fall, der in der Mathematik eine ähnlich bedeutende Rolle spielt). Derartige grammatische Entscheidungen können genaugenommen jedoch nur durch Muttersprachler getroffen werden. Deshalb konzentrieren sich Linguisten meist auf die eigene Muttersprache beziehungsweise Sprachen, die sie fließend beherrschen, für gewöhnlich englisch, französisch, deutsch, holländisch, italienisch, japanisch oder eine der chinesischen Sprachen. Manchmal scheitert eine Analyse der generativen Grammatik, wenn sie auf eine Sprache angewandt wird, die zuvor nicht studiert wurde. Wenn neue Sprachen erforscht werden, führt dies meist zu zahlreichen Korrekturen am Konzept der generativen Grammatik. Die Anforderungen, die an linguistische Universalien (Aussagen die auf alle Sprachen zutreffen) gestellt werden, wurden im Lauf der Zeit stetig mehr. Kaynes Vorschlag aus den 1990er Jahren beispielsweise, dass alle Sprachen über eine zugrunde liegende Subjekt-Verb-Objekt Ordnung verfügen, wäre in den 1960er Jahren nicht plausibel gewesen. Eine der Hauptmotivationen für eine alternativen Auffassung, dem funktional-typologischen Verständnis oder der Sprachtypologie (die oft mit Joseph H. Greenberg in Verbindung gebracht wird), ist es, Hypothesen der linguistischen Universalien auf dem Studium einer möglichst großen Vielfalt von Sprachen zu begründen, die entdeckten Variationen zu klassifizieren und Theorien zu formen, die auf dieser Klassifikation aufbauen. Chomskys Ansatz ist zu detailliert und zu sehr auf das Wissen von Muttersprachlern bezogen, um dieser Methode zu folgen, obschon sein Ansatz im Lauf der Zeit auf ein breites Spektrum von Sprachen Anwendung fand.
Chomsky-Hierarchie
Chomsky ist, unabhängig davon, inwieweit seine Ergebnisse Schlüssel zum Verständnis menschlicher Sprache darstellen, berühmt für seine Untersuchungen formaler Sprachen. Seine Chomsky-Hierarchie teilt die formale Grammatik in Klassen wachsender Ausdruckskraft. Jede folgende Klasse kann zu einem breiteren Satz formaler Sprachen als die vorhergehende führen. Interessanterweise vertritt er die Auffassung, dass die Beschreibung einiger Aspekte der Sprache eine im Sinne der Chomsky-Hierarchie komplexere formale Grammatik benötigen, als die Beschreibung anderer Aspekte. Beispielsweise reiche eine reguläre Sprache aus, die Englische Morphologie zu beschreiben, sei aber nicht stark genug, um auch die englische Syntax zu beschreiben. Die Chomsky-Hierarachie ist über ihre Bedeutung für die Linguistik hinaus zu einem wichtigen Element der theoretischen Informatik, speziell des Compilerbaus geworden, da sie über bedeutende Verbindungen und Isomorphismen mit der Automatentorie verfügt.
Kritik an Chomskys Linguistik
Obwohl Chomskys Auffassung die bekannteste der Linguistik ist, wurden seine Ansichten kritisiert. Möglicherweise ist die bekannteste Alternative zu Chomskys Standpunkt derjenige von George Lakoff und Mark Johnson. Deren kognitive Linguistik stellt eine Weiterentwicklung seines Ansatzes dar, unterscheidet sich aber in wesentlichen Merkmalen in signifikanter Weise. Insbesondere bestritten Lakoff und Johnson die neocartesianischen Ansätze in Chomskys Theorie und stellten fest, dass er nicht in der Lage sei, darüber Rechenschaft abzulegen, inwieweit Wahrnehmung repräsentiert werden könne.
Wie bereits bemerkt wurde, ist der Standpunkt der Konnektionisten nicht mit dem Chomskys vereinbar. Ebenso sind einige neuere Strömungen in der Psychologie, wie zum Beispiel die Diskurspsychologie oder die situated cognition der konstruktivistischen Kognitionswissenschaft, mit Chomskys Ansichten unvereinbar.
Auf radikalere Weise kritisieren Philosophen, die in der Tradition Ludwig Wittgensteins stehen, wie etwa Saul Kripke, dass Chomskianer die Rolle von regelbasierter menschlicher Wahrnehmung grundsätzlich falsch einschätzen. In ähnlicher Weise widersprechen Philosophen in phänomenologischen, existentialistischen und hermeneutischen Traditionen dem abstrakten, neorationalistischen Aspekt von Chomskys Gedankengebäude. Am besten repräsentiert dürfte diese Kritik durch Hubert Dreyfuss sein, der auch durch seine beständige Polemik gegen das Konzept der Künstlichen Intelligenz bekannt ist.
Beiträge zur Psychologie
Chomskys linguistisches Werk beeinflusste maßgeblich die Entwicklung der Psychologie im 20. Jahrhundert. Seine Theorie einer Universalgrammatik war ein direkter Angriff auf die etablierten behavioristischen Theorien seiner Zeit und hatte erhebliche Auswirkungen auf das wissenschaftliche Verständnis des kindlichen Spracherwerbs und der menschlichen Fähigkeit zur Interpretation von Sprache. Selbst wenn die weitergehenden Thesen des oben beschriebenen Prinzipien- und Parametermodells heftig umstritten sind, die grundlegenden Prinzipien der Theorie Chomskys sind heute allgemein anerkannt.
1959 veröffentlichte Chomsky seine Kritik an B.F. Skinners Verbal Behavior, einem Buch, in dem der führende Vertreter der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorherrschenden behavioristischen Psychologie behauptete, dass Sprache in erster Linie ein Verhalten (engl.behavior) sei. Dieses Verhalten, so Skinner weiter, könne wie jedes andere Verhalten – vom Schwanzwedeln eines Hundes bis zur Vorstellung eines Klaviervirtuosen – durch Belohnung und Strafe geformt werden. Sprache wird nach Skinner vollständig über Vorbilder und über die Konditionierung durch die Umwelt erworben.
Chomskys Kritik an Skinners Methodik und seinen grundlegenden Annahmen bereitete den Weg für eine Revolution gegen die behavioristische Doktrin. In seinem Buch „Cartesianische Linguistik“ von 1966 und anderen weiterführenden Arbeiten entwickelte Chomsky eine Erklärung der menschlichen Sprachfähigkeit, die auch für Untersuchungen in anderen Bereichen der Psychologie Modellcharakter entfaltete. Viele Aspekte des gegenwärtigen Konzepts von der Funktionsweise des Geistes entspringen unmittelbar Ideen, die in Chomsky ihren ersten überzeugenden zeitgenössischen Autor fanden.
Hier sind vor allem drei Kerngedanken festzuhalten. Erstens, behauptete er, ist der Geist kognitiv. Das bedeutet, dass er tatsächlich mentale Zustände, Überzeugungen, Zweifel usw. enthält. Frühere Ansichten haben das mit dem Argument abgelehnt, dass es sich lediglich um Ursache-Wirkung Beziehungen - beispielsweise der Art „Wenn Du mich fragst, ob ich X will, werde ich Y sagen“ - handle. Im Widerspruch hierzu zeigte Chomsky, dass es besser sei, den Geist zu so verstehen, als ob man es mit Gegenständlichem wie Überzeugungen oder auch Unbewusstem zu tun hätte.
Zweitens behauptete er, dass ein Großteil dessen, was der erwachsene Geist könne, bereits angeboren sei. Es käme zwar kein Kind auf die Welt, das bereits eine Sprache spreche, aber alle werden mit der Fähigkeit zum Spracherwerb geboren, die es sogar gestatte, in wenigen Jahren gleich mehrere Sprachen geradezu aufzusaugen. Psychologen erweiterten diese These weit über das Feld der Sprache hinaus. Der Geist des Neugeborenen wird heute nicht mehr als unbeschriebenes Blatt betrachtet.
Schließlich entwickelte Chomsky aus dem Konzept der Modularität ein entscheidendes Merkmal der kognitiven Architektur des Geistes. Der Geist sei aus einer Ansammlung zusammenwirkender spezialisierter Subsysteme zusammengesetzt, die aber nur eingeschränkt miteinander kommunizierten. Diese Vorstellung unterscheidet sich stark von der alten Idee, dass jedes Stückchen Information im Geist durch jeden anderen kognitiven Prozess abgerufen werden könne. (Optische Täuschungen zum Beispiel lassen sich nicht abschalten, sogar dann nicht, wenn man wisse, dass es sich um Illusionen handle).
Werke
Sprachwissenschaft
Three Models for the Description of Language, 1956
Syntactic Structures, 1957
Aspects of the Theory of Syntax, 1965
Language and Mind, 1972
Rules and Representations, 1980
Lectures on Government and Binding, 1981
Knowledge of Language. Its Nature, Origin and Use, 1986
Language and Thought, 1993
The Minimalist Program, 1995
Sonstige
Manufacturing Consent (1990)
War against People, 2001
The Attack (9-11), 2001
Profit over People, 2001
Rogue States, 2000
New War On Terrorism, 2002 (CD)
Media Control, 2003
Offene Wunde Nahost. Israel, die Palästinenser und die US - Politik. Aktualisierte Sonderausgabe, 2003 [1] (http://www.chomsky-forum.de/cf_book_toc.php?ISBN=3-203-76014-2)
Hybris, 2004 - ISBN 3203760169
Eine Anatomie der Macht Der Chomsky-Reader. Herausgegeben von Peter Mitchell und John Schoeffel, 2004 - ISBN 3-203-76007-X Weblink zu den Fußnoten understandingpower.com
riesemann - 10. Dez, 12:11
Edmund Husserl war Philosoph.
Husserl ist der Begründer der Phänomenologie, einer als "strenge Wissenschaft" auftretenden Philosophie, die ihn zu einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts machte.
Er forderte die Philosophen auf, sich der vorschnellen Weltdeutung zu enthalten und bei der analytischen Betrachtung der Dinge an das zu halten, was dem Bewusstsein unmittelbar erscheint.
Dabei brach er mit dem um 1900 noch vorherrschenden Psychologismus, der die Gesetze der Logik als Ausdruck der psychischen Gegebenheiten sah, die eine Objektivität unmöglich machten.
Er glänzte weniger als akademischer Lehrer, sondern philosophierte in ungewöhnlich hohem Maße schreibend, ca. 40.000 Seiten, die mit seinen Analysen gefüllt sind, werden seit 1950 nach und nach als "Husserliana" aus seinem Nachlass herausgegeben.
Den größten Einfluss übte er auf die Existenzphilosophen Martin Heidegger, Maurice Merleau-Ponty und Jean-Paul Sartre aus. Für die Soziologie machte v.a. Alfred Schütz den Husserlschen Ansatz fruchtbar.
Leben und Werke
Als zweiter Sohn einer jüdischen Tuchhändler-Familie legte Husserl 1876 in Olmütz seine Reifeprüfung ab. Im selben Jahr nahm er in Leipzig das Studium der Astronomie, Mathematik, Physik und Philosophie auf, das er in Berlin fortsetzte.
1882 promovierte er in Wien über die "Theorie der Variationsrechnung".
1886 folgte die Habilitation in Halle mit einer psychologischen Arbeit über den "Begriff der Zahl". Zu dieser Zeit war er in philosophischer Hinsicht bereits von Franz Brentano entscheidend angeregt.
Nach seiner Heirat mit Malvine Steinschneider (1887) erregte er mit einer "Philosophie der Arithmetik" (1891) die kritische Aufmerksamkeit des Logikers Gottlob Frege. Mit Rücksicht auf dessen Psychologismuskritik stellte er bis zur Jahrhundertwende umfangreiche "Logische Untersuchungen" an, die zu seinem ersten Hauptwerk heranwuchsen und dem Zweiundvierzigjährigen einen Ruf nach Göttingen einbrachten (ab 1901 außerordentlicher, ab 1906 ordentlicher Professor).
Persönlich bekannt wurde er in der 15 Jahre währenden Göttinger Zeit unter anderem mit dem Mathematiker David Hilbert, den Philosophen Wilhelm Dilthey, Max Scheler und Karl Jaspers sowie dem Dichter Hugo von Hofmannsthal.
1916 - also mitten im Ersten Weltkrieg, dem sein Sohn zum Opfer fiel - trat Husserl in Freiburg die Nachfolge des Neukantianers Heinrich Rickert an. Empfohlen hatte er sich für diese Berufung mit den "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie" (1913). Im Kreis der frühen Schüler stieß die "idealistische" Wendung dieses zweiten Hauptwerks indes auf einiges Unverständnis.
1918 gründete er die "Freiburger phänomenologische Gesellschaft". Seine erste Assistentin war die Jüdin und spätere katholische Ordensfrau Edith Stein; sie wurde 1919 von Martin Heidegger abgelöst, der zu Beginn des "Jahrhundertbuchs" "Sein und Zeit" (1927) seinen wichtigsten Lehrer mit den Worten würdigte:
"Wenn die folgende Untersuchung einige Schritte vorwärts geht in der Erschließung der 'Sachen selbst', so dankt das der Verfasser in erster Linie Edmund Husserl, der den Verfasser während seiner Freiburger Lehrjahre durch eindringliche persönliche Leitung und durch freieste Überlassung unveröffentlichter Untersuchungen mit den verschiedensten Gebieten phänomenologischer Forschung vertraut machte."
Heidegger war es auch, der 1928 Husserls Nachfolge in Freiburg antrat.
Husserls letztes Lebensjahrzehnt begann mit etlichen Vortragsreisen (Amsterdam, Paris, Frankfurt am Main, Berlin, Halle (Saale), Wien, Prag). Gleichzeitig entstand ein drittes Hauptwerk: "Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie". In dieser Spätphase stand der Begriff "Lebenswelt" im Zentrum seines Denkens, mit dem er noch einmal einen Neuansatz plant. Nun sieht er in der radikal objektivistischen Sicht der Naturwissenschaften den Grund für die Sinnkrise der Moderne, da sie den Bezug zum Leben verloren hat.
Der viel geehrte Husserl (Universitäten von Paris, Prag, London, Boston) bekam in den letzten Jahren seines Lebens die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus zu spüren. Er wurde am 6. April 1933 durch badischen Erlass unter Rektor Sauer beurlaubt. Während der kurzen Rektoratszeit seines Schülers Martin Heidegger an der Freiburger Universität, wurde dieser Erlass für die Beurlaubung Husserls am 20. Juli 1933 wieder aufgehoben. 1936 musste der Siebenundsiebzigjährige aber noch den Entzug seiner Lehrbefugnis und in der Folge weitere Schikanen erleben; so wurde das Ehepaar Husserl im Sommer 1937 aus der Freiburger Wohnung vertrieben. Die dort gelagerte stenographische "Urfassung" der Husserliana in Sicherheit zu bringen, gelang 1939 in einer abenteuerlichen Aktion dem belgischen Franziskanerpater Herman Leo Van Breda, der dann das Husserl-Archiv in Löwen gründete.
Zentrale Gedanken und Begriffe
Die Intentionalität des Bewusstseins: Alle Akte des Bewusstseins sind sinnstiftend. Dadurch wird das Betrachtete in seinem eigentlichen An-sich-sein verfälscht. Dies ist aber eine psychische Notwendigkeit, da jeder Gegenstand mannigfaltige Aspekte enthält, die bei der Wahrnehmung nicht alle beachtet werden können. So wird der wahre Gegenstand zu einem "vermeintlichen".
Die phänomenologische Reduktion: Um den wahren Wesensgehalt eines Gegenstandes zu erkennen, müssen wir unsere Einstellung zu ihm ändern. Wir müssen uns jeglichen (Vor-)Urteils ihm gegenüber enthalten. Dieses Sich-zurück-nehmen nannte Husserl Epoché, beziehungsweise Einklammerung.
Die eidetische Reduktion: Aus der durch die Enthaltung gewonnenen Neutralität heraus ist es nun möglich, zum Wesen einer Sache, beziehungsweise "zu den Sachen selbst" vorzudringen. Jetzt sind nur noch die Bewusstseinsakte selbst Gegenstand der Betrachtung. Die Existenz des Gegenstandes wird "transzendiert". Was übrigbleibt, ist die "absolute Seinsregion des Bewusstseins" selbst. Mit dieser eidetischen Reduktion gelingt eine Wesensschau, die uns zeigt, wie sich die Welt im Bewusstsein konstituiert.
riesemann - 10. Dez, 12:05
Paulo Freire war ein einflussreicher Pädagoge der Theorie und Praxis. Paulo Freires Mutter war in seinen Worten "lieb, freundlich und gerecht". Seine Eltern gehörten zur Mittelklasse in Brasilien. Sein Vater war ein Militärpolizist. Er wurde 1997 - kurz nach seinem Tode - zum Ehrendoktor des Fachbereiches Pädagogik an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg ernannt.
In der weltweiten ökonomischen Krise (1929) machte Paulo Freire die Erfahrung des Hungerns. Deswegen zogen die Freires nach Jabato, wo sein Vater starb. Hier, mit elf Jahren "widmete Paulo Freire sein Leben dem Kampf gegen den Hunger, so dass andere Kinder nie erleben müssen, was er erlebt hatte."
Paulo Freire war kein sehr guter Schüler. Nach der Schule studierte er zuerst Jura und wurde ein Anwalt. Aber er war nicht von seinem Beruf überzeugt, weil die Anwälte das Besitztum der Reichen verteidigten. Dies war ein Grund, warum Paulo Freire ein Lehrer für Portugiesisch wurde. Seine Interessen lagen mehr in der Philosophie, Psychologie, Pädagogik und den Sprachen.
Mit 23 Jahren heiratete er die Lehrerin Elza Matia Costa. Er hat mit ihr 5 Kinder. Nach ihrer Heirat studierte er systematisch Erziehungswissenschaften. Zwischen 1946 und 1954 war Paulo Freire der Direktor des Department Erziehungswissenschaften und Kultur in Pernambuco. Hier begann Paulo Freire den Dialog mit den Menschen. 1946 wurde er Dozent an der Universität von Recife. Der Beginn seiner Alphabetisierungskampagne war 1947. Das war die Zeit in der Paulo Freire die "Kultur des Schweigens" entdeckte. 1959 erhielt Paulo Freire den Doktortitel an der Universität von Recife. Er blieb an der Uni und lehrte Philosophie und Erziehungswissenschaften.
Im Jahre 1961 wurde João Goulart neuer Präsident von Brasilien. Er war sehr populär und unterstützte die Arbeit von Paulo Freire. Zwischen 1961 und 1964 war die Hauptzeit der Alphabetisierungskampagne Paulo Freires. Am 1. April 1964 übernahm das Militär die Staatsgewalt. Paulo Freire wurde unter Hausarrest gestellt, anschließend war er 70 Tage im Gefängnis und wurde schließlich nach Chile abgeschoben. Im Gefängnis begann er sein Buch: "Education: The practice of freedom".
Zudem hielt er Vorträge am CIDOC in Cuernavaca.
In Chile arbeitete er mit der UNESCO und der chilenischen Weiterbildungseinrichtung zusammen. Sein Alphabetisierungsprogramm wurde in Chile übernommen. 1969/70 war Paulo Freire Professor an der Harvard University. 1970 wurde Paulo Freire ein "Counsellor of the Office of Education at the World Council of Churches in Geneva", welcher er für mehr als 10 Jahre war. Des Weiteren war er Präsident der INDEP, der IDAC und Mitglied der UNESCO. Außerdem arbeitete er mit der ILO in Genf, der FAO in Rom, der IRFED in Paris und dem "Center for the Study of Development and Social Change in Cambridge (USA)" zusammen.
1970 veröffentlichte Paulo Freire die Bücher "Cultural Action for Freedom" und "Pedagogy Of The Oppressed". Das Letztere wurde in 18 Sprachen übersetzt. 1973 veröffentlichte er "Education for Critical Consciousness" und im nächsten Jahr "Conscientization. Teoria y practica de la liberacion". 1975 veröffentlichte er zusammen mit Ivan Illich das Buch "Dialogo". Aus seinem Engagement in Afrika entstand das Buch "Pedagogy in Process. The letters to Guinea-Bissau" im Jahre 1979.
1980 war es für Paulo Freire wieder möglich nach Brasilien zurück zu gehen. 1985 veröffentlichte Paulo Freire das Buch "The Politics of Education" und 1987 – zusammen mit Ira Shor – "A Pedagogy for Liberation". Außerdem veröffentlichte er noch unzählige Artikel in Fachzeitschriften und einige andere Bücher. Die oben aufgeführten Bücher sind die wichtigsten.
Paulo Freire ist sehr religiös. Er ist ein Katholik. Andererseits kann man ihn als radikalen Aufklärung bezeichnen. Seine Theorie entwickelte er aus vielen Theorien. Es ist nicht falsch, Paulo Freire als Eklektiker zu bezeichnen. Er vereinigt die Theorien von Descartes, Immanuel Kant, Hegel, Karl Marx, Karl Jaspers, Sartre, Marcel, Georges Bernanos, Mourniers, Manitaus, Freyres, Claude Lévi-Strauss, Erich Fromm, Herbert Marcuse, Kolakowski, Martin Buber, Noam Chomsky, Frank usw.
Figueroa meint, dass Paulo Freires Theorie am "entschiedensten geprägt ist ... durch die Wissenssoziologie Karl Mannheims, die Sprachtheorien Ferdinand de Saussures und Carles Bullys sowie durch die Phänomenologie Edmund Husserls." (Figueroa, S. 15)
Freire bezieht sich in seinen Werken immer wieder auf die Dialektik des Konkreten von Karel Kosik.
Paulo Freires Alphabetisierungsprogramm
Paulo Freire entwickelte nach dem 2. Weltkrieg ein Alphabetisierungsprogramm, das nicht nur eine Technik des raschen und gezielten Erwerbs von Lesen und Schreiben, sondern darüber hinaus eine Methode der Bewusstseinsbildung darstellt. In dem Zusammenhang muss man wissen, dass in Brasilien zu der Zeit nur diejenigen wahlberechtigt waren, die auch lesen und schreiben konnten. Er sah also sein Programm als ein Schritt zur Demokratisierung Brasiliens an.
Bewusstseinsbildung
Grundlage: Die Theorie Karl Mannheims
"Karl Mannheim rekonstruiert die historische Entwicklung des Menschen in drei Stufen. Ursprünglich bestimmt die Hordensolidarität die zwischenmenschlichen Beziehungen. Auf der zweiten Stufe beginnt sich der Mensch als Individuum zu erfahren, indem er in Konkurrenz zu anderen tritt. Der Mensch auf der Stufe der nachindividuellen Gruppensolidarität bildet die gesellschaftliche Wirklichkeit, in der wir heute leben."
Freire nennt die erste Stufe "semi-transitive consciousnes" und die nächste Stufe "naive-transitive consciousness". Diese Stufe kann führen "toward critical transitivity, characteristic of a legitimately democratic mentality, or it can deflected toward the debased, clearly dehumanized, fanaticized consciousness characteristic of massification."
Paulo Freires Anthropologie
Paulo Freire stellt seine Anschauung vom Menschen durch den Unterschied zu den Tieren dar. So sagt er, "daß von den unvollendeten Wesen der Mensch das einzige ist, das nicht nur sein Handeln, sondern auch sein eigenes Selbst zum Gegenstand seiner Reflexion macht." Tiere sind nur "Wesen in sich selbst", "ahistorisch, "lediglich stimuliert" und "können sich selbst nicht verpflichten".
Nach seiner Meinung ist jeder Mensch in der Lage, ein kritisches Bewusstsein zu erreichen. Ein kritisches Bewusstsein ist gekennzeichnet u.a. durch:
Tiefe in der Interpretation von Problemen
der Substitution von magischen Erklärungen durch Kausalprinzipien
Vermeidung von Verzerrungen bei der Wahrnehmung von Problemen
die Zurückweisung Verantwortung auf andere abzuschieben
passive Positionen zurückzuweisen
den DIALOG zu praktizieren und nicht zu polemisieren
das Neue kritisch zu akzeptieren und das Alte nicht zu verurteilen, usw.
Das Alphabetisierungsprogramm
Die Kultur des Schweigens
Paulo Freire nennt die Kultur des ländlichen Proletariats und der Slumbewohner Brasiliens die Kultur des Schweigens. Er sieht wie diese Menschen sich ihrem Schicksal - "es ist alles Gottes Wille" - ergeben, wie sie dem Mythos verfallen schlechtere Menschen zu sein und apathisch ihren Unterdrückern, z.B. Gutsherren, vertrauen. Konsequenterweise lehnen die Unterdrückten deswegen auch Bildung ab - ihre Unterdrücker regeln für sie ja alles. Dafür verantwortlich ist auch das herrschende Schulwesen, welches nicht auf die Probleme der SchülerInnen eingeht, sondern Wissen nach westlichen Vorbild verbreiten will oder muss.
Das Gegenkonzept
Paulo Freire will die herrschende Passivität aufbrechen. Er führt sein anthropologisches Konzept der Kultur ein, "that is, the distinction between nature and culture." Er glaubt, führt Cynthia Brown fort, dass eine Diskussion über diese Unterscheidung Analphabeten zu der Erkenntnis führt, das sie genauso Kultur schaffen wie belesene Menschen, das Kultur Menschengeschaffen ist und somit auch veränderbar ist. Die Unterscheidung zwischen Kultur und Natur beinhaltet auch den Unterschied zwischen Mensch und Tier und die Wichtigkeit von Sprache und Schrift in diesem Zusammenhang.
Um die Diskussion über Natur und Kultur, Menschen und Tiere und Kultur im Leben der Menschen anzustoßen, ließ Paulo Freire 10 Bilder von einem Maler anfertigen, die dann abfotografiert wurden. Mit Hilfe eines Diaprojektors wurden diese Bilder in den Dörfern an die Wand geworfen.
Der "Koordinator" beginnt mit den Dorfbewohnern, die freiwillig den Alphabetisierungskurs besuchen, einen Dialog. Die Dias werden nacheinander durchgesprochen. Hier können die TeilnehmerInnen ihr "real knowledge" ausdrücken, ohne das sie lesen oder schreiben können müssen. Dies regt die TeilnehmerInnen an, nun selber lesen zu lernen. Paulo Freire nennt diesen Prozess "Bewusstseinsmachung". Für ihn ist es ein Prozess, in dem die TeilnehmerInnen angeregt werden ihre eigene Situation zu analysieren um dann ihr Leben selbst zu gestalten, um ihre eigene Lebenssituation zu gestalten.
Der Ablauf des Alphabetisierungsprogramms
a.) Die Autoritäten des Dorfes werden aufgesucht, um ihr Einverständnis zum Alphabetisierungsprogramm einzuholen.
b.) Das Leben und das Vokabular der Gemeinschaft wird untersucht.
c.) 16 generative Wörter werden kodiert und auf Dias, Poster, usw. geschrieben. Portugiesisch ist eine "Silben-Sprache". Aus verschiedenen Silben können neue Wörter gebildet werden.
d.) Eine "discovery-card", auf der einzelne Silben abgebildet sind, wird entwickelt.
e.) Ein Raum im Dorf wird angemietet.
f.) Koordinatoren, keine Lehrer, werden ausgewählt und ausgebildet.
g.) Ein "Kulturkreis", keine Klasse, wird gebildet. Er besteht aus 25 bis 30 TeilnehmerInnen.
Wenn die Gruppe sich gebildet hat, verläuft es weiter wie folgt:
I.) Einmal die Woche trifft sich die Gruppe für eine Stunde ca. 6- bis 8-mal.
II.) Die ersten Sitzungen werden dazu benutzt, die Unterschiede zwischen Natur und Kultur anhand der 10 Dias zu analysieren.
III.) In der nächsten Sitzung wird das erste generative Wort gebildet - mit Hilfe der "discovery-card". Am Ende werden die TeilnehmerInnen aufgefordert, neue Wörter aus den Silben zu bilden.
IV.) In den verbleibenden Sitzungen werden die anderen generativen Wörter einzeln eingeführt. Die TeilnehmerInnen schreiben und lesen in den Sitzungen, drücken ihre Meinung aus und schreiben sie auf. Sie lesen Zeitungen und diskutieren über lokale Ereignisse.
Pädagogik der Unterdrückten
1970 erschien Paulo Freires befreiungspädagogisches Hauptwerk - "Pädagogik der Unterdrückten". Diese Buch wurde in 18 Sprachen übersetzt. Zwar weist Paulo Freire nicht explizit darauf hin, dass dieses Buch auf den Erfahrungen aufbaut, die er in der Alphabetisierungskampangne gemacht hat, aber implizit findet man die Grundstruktur wieder.
Die Analyse des herrschenden Schulsystems - "the banking concept of education"
Die vorherrschende Unterrichtsmethode nennt Paulo Freire "Bankiers-Methode". Er macht seine Kritik deutlich, in dem er den Positivismus seiner Zeit kritisiert. So behauptet er, das die Anhänger des Positivismus glauben, dass das "menschliche Bewusstsein etwas leeres und passives ist, in dem es nichts gibt, was bewusst gemacht werden sollte." (Figueroa, S. 24) So schreibt Paulo Freire: "Das Bankiers-Konzept beruht auf der Voraussetzung einer Spaltung zwischen Mensch und Welt: der Mensch ist nur in der Welt, aber nicht mit der Welt oder mit anderen. Der Mensch ist Zuschauer, nicht Neuschöpfer. In dieser Sicht ist der Mensch nicht ein bewusstes Wesen, vielmehr ist er Besitzer eines Bewusstseins: eines leeren Sinnes, der dem Empfang von Einlagen an Wirklichkeit aus der Außenwelt passiv offen steht."
In der "Bankiers-Methode" wird Erziehung zu einem Akt der Spareinlage. Der Lehrer macht Einlagen in die Köpfe der Schüler. Die Aufgabe des Lehrers ist es, die Köpfe der SchülerInnen "mit den Inhalten seiner Übermittlung zu füllen¯ - mit Inhalten, die von der Wirklichkeit losgelöst sind, ohne Verbindung zu einem größeren Ganzen, das sie ins Leben rief und ihnen Bedeutung verleihen könnte." (Ebd., S. 57) "Je vollständiger er die Behälter füllt, ein desto besserer Lehrer ist er. Je williger die Behälter es zulassen, dass sie gefüllt werden, um so bessere Schüler sind sie." (Ebd.) Paulo Freire behauptet, dass diese "Bankiers-Methode" die SchülerInnen passiv macht. Sie nehmen die ihnen präsentierte Welt hin und passen sich der scheinbaren Realität an. So entwickelt sich nach Paulo Freire kein kritisches Bewusstsein.
Die Alternative - "the problem-posing concept of education"
"In der Problemformulierenden Bildung entwickeln die Menschen die Kraft, kritisch die Weise zu begreifen, in der sie in der Welt existieren, mit der und in der sie sich selbst vorfinden. Sie lernen die Welt nicht als statische Wirklichkeit, sondern als eine Wirklichkeit im Prozess sehen, in der Umwandlung." (Ebd., S. 67)
Paulo Freires Konzept sieht vor den Lehrer-Schüler-Widerspruch, wie er in der "Bankiers-Methode" vorherrscht, aufzuheben. So bezeichnet er sie konsequenterweise als "Lehrer-Schüler" bzw. als "Schüler-Lehrer". Durch wahren Dialog der "Schüler-Lehrer" und der "Lehrer-Schüler" sollen beide die Wirklichkeit enthüllen. Dialog kann "nicht existieren, wo es an der tiefen Liebe für Welt und Menschen fehlt" (Ebd., S. 72); wo es nicht "einen intensiven Glauben an den Menschen, einen Glauben an seine Macht, zu schaffen und neu zu schaffen, zu machen und neu zu machen, Glauben an seine Berufung, voller Mensch zu sein" (Ebd., S. 74) fehlt; "ohne dass sich die Dialogpartner auf kritisches Denken einlassen." (Ebd.)
Nach Paulo Freire entdeckt man bei der Analyse des Dialogs, "was das Wesen des Dialogs ausmacht: das Wort" (Ebd., S.71). Das Wort ist mehr als ein Instrument, das den Dialog ermöglicht. In ihm entdeckt Paulo Freire zwei konstitutive Elemente: Reflexion und Aktion. Für ihn beruht Praxis auch auf Reflexion und Aktion.
Wenn im Unterricht nur theoretisch reflektiert wird, fehlt die Aktion. Dies bezeichnet Paulo Freire als "Verbalismus". Wenn andererseits das Gewicht mehr auf Aktion gesetzt wird, fehlt die Reflexion. Dies bezeichnet er als "Aktionismus". Ein guter Unterricht muss also ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Reflexion und Aktion anstreben.
Werke
Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit, Reinbek Hamburg, 1973
engl.: Pedagogy Of The Oppressed, New York, Thirty Second Printing, 1990
Erziehung als Praxis der Freiheit, Stuttgart-Berlin, 1974
Der Lehrer ist Politiker und Künstler. Neue Texte zur befreienden Bildungsarbeit, Reinbek bei Hamburg, 1981
A few notions about the word "concientization". in: R. Dale, G. Esland, M. MacDonald, M., Schooling and Capitalism: A Sociological Reader, London, Routledge and Kegan Paul, 1976
Concientization, The Month, May, 1974
Education: The Practice of Freedom, London, Writers and Readers, 1974
A Pedagogy for Liberation, zus. m. Ira Shor, London, MacMilliam, 1987
riesemann - 10. Dez, 12:03