Husserl, Edmund 1859-1938
Edmund Husserl war Philosoph.
Husserl ist der Begründer der Phänomenologie, einer als "strenge Wissenschaft" auftretenden Philosophie, die ihn zu einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts machte.
Er forderte die Philosophen auf, sich der vorschnellen Weltdeutung zu enthalten und bei der analytischen Betrachtung der Dinge an das zu halten, was dem Bewusstsein unmittelbar erscheint.
Dabei brach er mit dem um 1900 noch vorherrschenden Psychologismus, der die Gesetze der Logik als Ausdruck der psychischen Gegebenheiten sah, die eine Objektivität unmöglich machten.
Er glänzte weniger als akademischer Lehrer, sondern philosophierte in ungewöhnlich hohem Maße schreibend, ca. 40.000 Seiten, die mit seinen Analysen gefüllt sind, werden seit 1950 nach und nach als "Husserliana" aus seinem Nachlass herausgegeben.
Den größten Einfluss übte er auf die Existenzphilosophen Martin Heidegger, Maurice Merleau-Ponty und Jean-Paul Sartre aus. Für die Soziologie machte v.a. Alfred Schütz den Husserlschen Ansatz fruchtbar.
Leben und Werke
Als zweiter Sohn einer jüdischen Tuchhändler-Familie legte Husserl 1876 in Olmütz seine Reifeprüfung ab. Im selben Jahr nahm er in Leipzig das Studium der Astronomie, Mathematik, Physik und Philosophie auf, das er in Berlin fortsetzte.
1882 promovierte er in Wien über die "Theorie der Variationsrechnung".
1886 folgte die Habilitation in Halle mit einer psychologischen Arbeit über den "Begriff der Zahl". Zu dieser Zeit war er in philosophischer Hinsicht bereits von Franz Brentano entscheidend angeregt.
Nach seiner Heirat mit Malvine Steinschneider (1887) erregte er mit einer "Philosophie der Arithmetik" (1891) die kritische Aufmerksamkeit des Logikers Gottlob Frege. Mit Rücksicht auf dessen Psychologismuskritik stellte er bis zur Jahrhundertwende umfangreiche "Logische Untersuchungen" an, die zu seinem ersten Hauptwerk heranwuchsen und dem Zweiundvierzigjährigen einen Ruf nach Göttingen einbrachten (ab 1901 außerordentlicher, ab 1906 ordentlicher Professor).
Persönlich bekannt wurde er in der 15 Jahre währenden Göttinger Zeit unter anderem mit dem Mathematiker David Hilbert, den Philosophen Wilhelm Dilthey, Max Scheler und Karl Jaspers sowie dem Dichter Hugo von Hofmannsthal.
1916 - also mitten im Ersten Weltkrieg, dem sein Sohn zum Opfer fiel - trat Husserl in Freiburg die Nachfolge des Neukantianers Heinrich Rickert an. Empfohlen hatte er sich für diese Berufung mit den "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie" (1913). Im Kreis der frühen Schüler stieß die "idealistische" Wendung dieses zweiten Hauptwerks indes auf einiges Unverständnis.
1918 gründete er die "Freiburger phänomenologische Gesellschaft". Seine erste Assistentin war die Jüdin und spätere katholische Ordensfrau Edith Stein; sie wurde 1919 von Martin Heidegger abgelöst, der zu Beginn des "Jahrhundertbuchs" "Sein und Zeit" (1927) seinen wichtigsten Lehrer mit den Worten würdigte:
"Wenn die folgende Untersuchung einige Schritte vorwärts geht in der Erschließung der 'Sachen selbst', so dankt das der Verfasser in erster Linie Edmund Husserl, der den Verfasser während seiner Freiburger Lehrjahre durch eindringliche persönliche Leitung und durch freieste Überlassung unveröffentlichter Untersuchungen mit den verschiedensten Gebieten phänomenologischer Forschung vertraut machte."
Heidegger war es auch, der 1928 Husserls Nachfolge in Freiburg antrat.
Husserls letztes Lebensjahrzehnt begann mit etlichen Vortragsreisen (Amsterdam, Paris, Frankfurt am Main, Berlin, Halle (Saale), Wien, Prag). Gleichzeitig entstand ein drittes Hauptwerk: "Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie". In dieser Spätphase stand der Begriff "Lebenswelt" im Zentrum seines Denkens, mit dem er noch einmal einen Neuansatz plant. Nun sieht er in der radikal objektivistischen Sicht der Naturwissenschaften den Grund für die Sinnkrise der Moderne, da sie den Bezug zum Leben verloren hat.
Der viel geehrte Husserl (Universitäten von Paris, Prag, London, Boston) bekam in den letzten Jahren seines Lebens die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus zu spüren. Er wurde am 6. April 1933 durch badischen Erlass unter Rektor Sauer beurlaubt. Während der kurzen Rektoratszeit seines Schülers Martin Heidegger an der Freiburger Universität, wurde dieser Erlass für die Beurlaubung Husserls am 20. Juli 1933 wieder aufgehoben. 1936 musste der Siebenundsiebzigjährige aber noch den Entzug seiner Lehrbefugnis und in der Folge weitere Schikanen erleben; so wurde das Ehepaar Husserl im Sommer 1937 aus der Freiburger Wohnung vertrieben. Die dort gelagerte stenographische "Urfassung" der Husserliana in Sicherheit zu bringen, gelang 1939 in einer abenteuerlichen Aktion dem belgischen Franziskanerpater Herman Leo Van Breda, der dann das Husserl-Archiv in Löwen gründete.
Zentrale Gedanken und Begriffe
Die Intentionalität des Bewusstseins: Alle Akte des Bewusstseins sind sinnstiftend. Dadurch wird das Betrachtete in seinem eigentlichen An-sich-sein verfälscht. Dies ist aber eine psychische Notwendigkeit, da jeder Gegenstand mannigfaltige Aspekte enthält, die bei der Wahrnehmung nicht alle beachtet werden können. So wird der wahre Gegenstand zu einem "vermeintlichen".
Die phänomenologische Reduktion: Um den wahren Wesensgehalt eines Gegenstandes zu erkennen, müssen wir unsere Einstellung zu ihm ändern. Wir müssen uns jeglichen (Vor-)Urteils ihm gegenüber enthalten. Dieses Sich-zurück-nehmen nannte Husserl Epoché, beziehungsweise Einklammerung.
Die eidetische Reduktion: Aus der durch die Enthaltung gewonnenen Neutralität heraus ist es nun möglich, zum Wesen einer Sache, beziehungsweise "zu den Sachen selbst" vorzudringen. Jetzt sind nur noch die Bewusstseinsakte selbst Gegenstand der Betrachtung. Die Existenz des Gegenstandes wird "transzendiert". Was übrigbleibt, ist die "absolute Seinsregion des Bewusstseins" selbst. Mit dieser eidetischen Reduktion gelingt eine Wesensschau, die uns zeigt, wie sich die Welt im Bewusstsein konstituiert.
Husserl ist der Begründer der Phänomenologie, einer als "strenge Wissenschaft" auftretenden Philosophie, die ihn zu einem der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts machte.
Er forderte die Philosophen auf, sich der vorschnellen Weltdeutung zu enthalten und bei der analytischen Betrachtung der Dinge an das zu halten, was dem Bewusstsein unmittelbar erscheint.
Dabei brach er mit dem um 1900 noch vorherrschenden Psychologismus, der die Gesetze der Logik als Ausdruck der psychischen Gegebenheiten sah, die eine Objektivität unmöglich machten.
Er glänzte weniger als akademischer Lehrer, sondern philosophierte in ungewöhnlich hohem Maße schreibend, ca. 40.000 Seiten, die mit seinen Analysen gefüllt sind, werden seit 1950 nach und nach als "Husserliana" aus seinem Nachlass herausgegeben.
Den größten Einfluss übte er auf die Existenzphilosophen Martin Heidegger, Maurice Merleau-Ponty und Jean-Paul Sartre aus. Für die Soziologie machte v.a. Alfred Schütz den Husserlschen Ansatz fruchtbar.
Leben und Werke
Als zweiter Sohn einer jüdischen Tuchhändler-Familie legte Husserl 1876 in Olmütz seine Reifeprüfung ab. Im selben Jahr nahm er in Leipzig das Studium der Astronomie, Mathematik, Physik und Philosophie auf, das er in Berlin fortsetzte.
1882 promovierte er in Wien über die "Theorie der Variationsrechnung".
1886 folgte die Habilitation in Halle mit einer psychologischen Arbeit über den "Begriff der Zahl". Zu dieser Zeit war er in philosophischer Hinsicht bereits von Franz Brentano entscheidend angeregt.
Nach seiner Heirat mit Malvine Steinschneider (1887) erregte er mit einer "Philosophie der Arithmetik" (1891) die kritische Aufmerksamkeit des Logikers Gottlob Frege. Mit Rücksicht auf dessen Psychologismuskritik stellte er bis zur Jahrhundertwende umfangreiche "Logische Untersuchungen" an, die zu seinem ersten Hauptwerk heranwuchsen und dem Zweiundvierzigjährigen einen Ruf nach Göttingen einbrachten (ab 1901 außerordentlicher, ab 1906 ordentlicher Professor).
Persönlich bekannt wurde er in der 15 Jahre währenden Göttinger Zeit unter anderem mit dem Mathematiker David Hilbert, den Philosophen Wilhelm Dilthey, Max Scheler und Karl Jaspers sowie dem Dichter Hugo von Hofmannsthal.
1916 - also mitten im Ersten Weltkrieg, dem sein Sohn zum Opfer fiel - trat Husserl in Freiburg die Nachfolge des Neukantianers Heinrich Rickert an. Empfohlen hatte er sich für diese Berufung mit den "Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie" (1913). Im Kreis der frühen Schüler stieß die "idealistische" Wendung dieses zweiten Hauptwerks indes auf einiges Unverständnis.
1918 gründete er die "Freiburger phänomenologische Gesellschaft". Seine erste Assistentin war die Jüdin und spätere katholische Ordensfrau Edith Stein; sie wurde 1919 von Martin Heidegger abgelöst, der zu Beginn des "Jahrhundertbuchs" "Sein und Zeit" (1927) seinen wichtigsten Lehrer mit den Worten würdigte:
"Wenn die folgende Untersuchung einige Schritte vorwärts geht in der Erschließung der 'Sachen selbst', so dankt das der Verfasser in erster Linie Edmund Husserl, der den Verfasser während seiner Freiburger Lehrjahre durch eindringliche persönliche Leitung und durch freieste Überlassung unveröffentlichter Untersuchungen mit den verschiedensten Gebieten phänomenologischer Forschung vertraut machte."
Heidegger war es auch, der 1928 Husserls Nachfolge in Freiburg antrat.
Husserls letztes Lebensjahrzehnt begann mit etlichen Vortragsreisen (Amsterdam, Paris, Frankfurt am Main, Berlin, Halle (Saale), Wien, Prag). Gleichzeitig entstand ein drittes Hauptwerk: "Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie". In dieser Spätphase stand der Begriff "Lebenswelt" im Zentrum seines Denkens, mit dem er noch einmal einen Neuansatz plant. Nun sieht er in der radikal objektivistischen Sicht der Naturwissenschaften den Grund für die Sinnkrise der Moderne, da sie den Bezug zum Leben verloren hat.
Der viel geehrte Husserl (Universitäten von Paris, Prag, London, Boston) bekam in den letzten Jahren seines Lebens die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus zu spüren. Er wurde am 6. April 1933 durch badischen Erlass unter Rektor Sauer beurlaubt. Während der kurzen Rektoratszeit seines Schülers Martin Heidegger an der Freiburger Universität, wurde dieser Erlass für die Beurlaubung Husserls am 20. Juli 1933 wieder aufgehoben. 1936 musste der Siebenundsiebzigjährige aber noch den Entzug seiner Lehrbefugnis und in der Folge weitere Schikanen erleben; so wurde das Ehepaar Husserl im Sommer 1937 aus der Freiburger Wohnung vertrieben. Die dort gelagerte stenographische "Urfassung" der Husserliana in Sicherheit zu bringen, gelang 1939 in einer abenteuerlichen Aktion dem belgischen Franziskanerpater Herman Leo Van Breda, der dann das Husserl-Archiv in Löwen gründete.
Zentrale Gedanken und Begriffe
Die Intentionalität des Bewusstseins: Alle Akte des Bewusstseins sind sinnstiftend. Dadurch wird das Betrachtete in seinem eigentlichen An-sich-sein verfälscht. Dies ist aber eine psychische Notwendigkeit, da jeder Gegenstand mannigfaltige Aspekte enthält, die bei der Wahrnehmung nicht alle beachtet werden können. So wird der wahre Gegenstand zu einem "vermeintlichen".
Die phänomenologische Reduktion: Um den wahren Wesensgehalt eines Gegenstandes zu erkennen, müssen wir unsere Einstellung zu ihm ändern. Wir müssen uns jeglichen (Vor-)Urteils ihm gegenüber enthalten. Dieses Sich-zurück-nehmen nannte Husserl Epoché, beziehungsweise Einklammerung.
Die eidetische Reduktion: Aus der durch die Enthaltung gewonnenen Neutralität heraus ist es nun möglich, zum Wesen einer Sache, beziehungsweise "zu den Sachen selbst" vorzudringen. Jetzt sind nur noch die Bewusstseinsakte selbst Gegenstand der Betrachtung. Die Existenz des Gegenstandes wird "transzendiert". Was übrigbleibt, ist die "absolute Seinsregion des Bewusstseins" selbst. Mit dieser eidetischen Reduktion gelingt eine Wesensschau, die uns zeigt, wie sich die Welt im Bewusstsein konstituiert.
riesemann - 10. Dez, 12:05
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