Freitag, 18. Februar 2005

Luxemburg, Rosa 1870-1919

Rosa Luxemburg - geboren als Rosalia Luxenburg in Zamość, Kreis Lublin in Polen, war eine bedeutende Vertreterin der internationalen Arbeiterbewegung, zuerst in Polen und der Schweiz, seit 1898 in Deutschland. Sie war eine profilierte marxistische Theoretikerin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und entschiedene proletarische Internationalistin. 1914 gründete sie die "Gruppe Internationale" und führte den daraus hervorgehenden Spartakusbund mit an. Bis 1917 blieb sie Mitglied der SPD und wechselte dann mit dem Spartakusbund in die neugegründete USPD. Sie war politische Autorin unter anderem in der "Leipziger Volkszeitung", später Herausgeberin der Zeitung "Die Rote Fahne". Ende 1918 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der KPD, deren erstes Parteiprogramm sie im Wesentlichen entwarf, formulierte und vortrug.
Ihre theoretische und praktische Arbeit für den Sozialismus, die internationale Solidarität der Arbeiterklasse, gegen Militarismus und Krieg wirkte weit über ihre Zeit und die Grenzen Deutschlands hinaus.

Rosa Luxemburgs Leben
Jugend, Einstieg in die Politik, Studium (1871-1897)
Am 5. März 1871 wurde Rosa Luxemburg als fünftes Kind des Holzhändlers Eliasz Luxemburg und dessen Frau Line (geb. Löwenstein) im damals russischen Teil Polens ("Kongresspolen") geboren. Sie war kleinwüchsig und lebenslang körperbehindert. Ihre Eltern waren jüdischen Glaubens.
Nach dem Umzug der Familie nach Warschau besuchte sie dort seit 1880 das Zweite Mädchengymnasium. Noch in der Schulzeit engagierte sie sich ab 1886 in der Partei „Proletariat“. Diese polnische Linkspartei wurde 1882 – knapp 20 Jahre vor den russischen Arbeiterparteien – gegründet und organisierte erstmals einen Massenstreik. Daraufhin wurden vier ihrer Anführer hingerichtet und die Partei aufgelöst. Nur im Untergrund konnten einige Teilgruppen weiterarbeiten. Einer von ihnen schloss sie sich an.
1888 machte sie das Abitur mit Auszeichnung. Ein Jahr darauf musste sie vor einer drohenden Verhaftung fliehen und ging nach Zürich in die Schweiz, dem damaligen Exil vieler russischer und polnischer Intellektueller. Dort beteiligte sie sich sofort an örtlichen Arbeiter- und Emigrantengruppen und gewann rasch einen Ruf als führende Theoretikern der polnischen Arbeiterbewegung. Sie studierte an der Zürcher Universität Philosophie, Geschichte, Politik, Ökonomie und Mathematik zugleich. Ihre Schwerpunkte waren Staatswissenschaften (heute: Volkswirtschaftslehre und Politologie), Mittelalter, Wirtschafts- und Börsenkrisen.
Als im Deutschen Reich nach 12 Jahren Gültigkeit die Bismarckschen Sozialistengesetze 1890 aufgehoben wurden, konnte die SPD auf legalem Weg weitere Reichstagssitze gewinnen. Ihre Abgeordneten setzten sich nun immer weniger für andere Produktionsverhältnisse, immer mehr nur noch für allmähliche Erweiterung parlamentarischer Rechte und materiellen Wohlstands ein, obwohl sie nach außen revolutionäre Reden hielten.
Rosa Luxemburg vertrat dagegen eine konsequent marxistisch-revolutionäre Haltung. 1893 gründete sie gemeinsam mit Leo Jogiches und Julian Marchlewski die "Sozialdemokratische Arbeiterpartei Polens und Litauens" (SDARP) gegen die bestehende "Polnische Sozialistische Partei" (PPS). Deren Ziel war Polens Unabhängigkeit und seine Umwandlung in eine bürgerliche Demokratie. Sie kritisierte diesen Nationalismus in der Pariser Exilzeitung "Sprawa Robotnicza" (Arbeitersache) und vertrat dagegen, dass Polen nur durch eine Revolution in Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland unabhängig werden könne. Vorrang müsse der Kampf gegen die Monarchie und den Kapitalismus in ganz Europa haben. Dessen Überwindung sei die Vorbedingung für das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Diese Auffassung wurde später ein Grund für ihren Streit mit Lenin.
1897 promovierte sie in Zürich summa cum laude zum Thema "Polens industrielle Entwicklung".
Für Marxismus, gegen Militarismus in der SPD (1898-1914)
Im Jahr darauf heiratete sie Gustav Lübeck, um die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten. Sie zog nach Berlin und trat in die SPD ein. Dort wurde sie aufgrund ihrer scharfen Rhetorik und ihrer analytischen Fähigkeiten rasch zur Wortführerin des linken Parteiflügels.
In dieser Rolle griff sie 1899 mit einer Artikelserie in der angesehenen "Leipziger Volkszeitung" in die sogenannte Revisionismus-Debatte ein. Eduard Bernstein vertrat damals die Theorie, dass Interessenausgleich und soziale Reformen die Auswüchse des Kapitalismus mildern und von allein zum Sozialismus führen würden, so dass die SPD sich auf parlamentarische Mittel beschränken könne. Dagegen bestand Rosa Luxemburg darauf, dass der in Krisen zugespitzte Gegensatz von Kapital und Arbeit nur durch eine Machtübernahme des Proletariats und eine revolutionäre Umgestaltung der Produktionsverhältnisse zu überwinden sei. Sie forderte den Ausschluss der Revisionisten aus der SPD.
Dieser unterblieb, aber die Parteiführung unter August Bebel und Karl Kautsky behielt den Marxismus in ihrem Programm. Sie verfolgte jedoch praktisch einen reformistischen Kurs und versuchte vor allem, ihre Reichstagsfraktion zu vergrößern.
Von nun an war Rosa Luxemburg als scharfzüngige intelligente Gegnerin der Revisionisten bekannt, geachtet und zum Teil auch gefürchtet. Sie übernahm als erste Frau die Chefredaktion der "Leipziger Volkszeitung". Doch nachdem sie sich mit einem Redakteur des SPD-Parteiblatts "Vorwärts" angelegt hatte und von Intrigen gegen sie erfuhr, trat sie zurück. Sie wollte sich den autoritären, von Männern dominierten Machtstrukturen in der SPD nicht beugen.
Fortan nahm sie in zahlreichen Zeitungsartikeln und Parteigremien zu aktuellen ökonomischen und sozialpolitischen Problemen in allen Staaten Europas Stellung. Sie griff vor allem immer stärker den deutschen Militarismus und Imperialismus an, da sie den kommenden Krieg der europäischen Großmächte voraussah. Sie versuchte, ihre Partei zu einem energischen Gegenkurs zu verpflichten.
Im Reichtagswahlkampf 1903 sagte sie öffentlich vor einer Menge: "Der Mann, der von der guten und gesicherten Existenz der deutschen Arbeiter spricht, hat keine Ahnung von den Tatsachen." Wer gemeint war, war eindeutig. Daher wurde sie 1904 wegen "Majestätsbeleidigung" zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, von denen sie aber nur 6 Wochen verbüßen musste.
Danach reiste sie unter falschem Namen nach Polen, um die SDARP zur Teilnahme an der russischen Revolution von 1905 zu bewegen. Sie wurde verhaftet und ausgewiesen. Im folgenden Jahr wurde sie wegen Anreizung zum Klassenhass erneut zu zwei Monaten Haft verurteilt.
Um die "internationale Solidarität der Arbeiterklasse" gegen den Krieg einzuüben, forderte sie nun energisch von der SPD die Vorbereitung des Generalstreiks nach polnisch-russischem Vorbild ("Massenstreik, Partei und Gewerkschaften" 1906). Zugleich setzte sie ihr internationalistisches Engagement fort und nahm 1907 mit Leo Jogiches, ihrem damaligen Lebenspartner, am V. Parteitag der russischen Sozialdemokraten in London Teil. Dort lernte sie Lenin kennen. Beim folgenden Kongress der 2. Internationale in Stuttgart brachte sie eine Resolution ein, die gemeinsames Handeln aller europäischen Arbeiterparteien gegen den Krieg vorsah. Diese wurde angenommen.
Nun begann sie als Dozentin für Marxismus und Ökonomie an der SPD-Parteischule in Berlin zu lehren. Einer ihrer Schüler war der spätere SPD-Vorsitzende und erste Präsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert.
Als die SPD sich im Aufstand der Herero und Nama klar gegen die imperialistische Politik des Kaiserreichs aussprach, verlor sie bei den angesetzten Neuwahlen 1907 etwa ein Drittel ihrer Reichtagssitze. Doch den Generalstreik als politisches Kampfmittel lehnten SPD- und Gewerkschaftsführung weiterhin strikt ab. Darüber zerbrach 1910 Rosa Luxemburgs Freundschaft mit Kautsky.
1912 reiste sie als Vertreterin der SPD zu europäischen Sozialistenkongressen, u.a. in Paris. Mit dem französischen Sozialisten Jean Jaurès sorgte sie dafür, dass die europäischen Arbeiterparteien sich feierlich verpflichteten, beim Kriegsausbruch zum Generalstreik aufzurufen. Als der Krieg mit der Balkankrise 1913 immer wahrscheinlicher wurde, organisierte sie Demonstrationen. In Frankfurt am Main rief sie dabei zu Kriegsdienst- und Befehlsverweigerung auf. Daher wurde sie 1914 der Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit angeklagt und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Sie musste aber die Haft nicht sofort antreten und konnte Ende Juli an einer Sitzung des Internationalen Sozialistischen Büros teilnehmen. Dort erkannte sie : Auch in den europäischen, vor allem den deutschen und französischen Arbeiterparteien war der Nationalismus stärker als das internationale Klassenbewusstsein.
Am 3. August 1914 erklärte das Deutsche Reich Russland den Krieg. Am Tag darauf beschloss die SPD-Fraktion im Reichstag einstimmig die Kriegskredite. Diese Zustimmung ermöglichte die volle Mobilisierung des deutschen Heeres. Zugleich versprach die Partei dem Kaiser einen Streik- und Lohnverzicht während des Krieges. Diese Politik des "Burgfriedens" vertraten die SPD-Abgeordneten, um nicht wieder als "Vaterlandsverräter" zu gelten und den mühsam erkämpften Einfluss im Reichstag nicht zu verlieren.
Rosa Luxemburg erlebte diesen Tag als persönliche Katastrophe und hatte kurze Zeit sogar Selbstmordgedanken. Sie musste erkennen, dass die Politik, die sie seit 1899 bekämpft hatte, gesiegt und das Ja zum Krieg nach sich gezogen hatte.
Engagement im 1. Weltkrieg (1914-1918)
Am 5. August gründete sie mit Karl Liebknecht und einigen anderen Parteilinken, darunter Franz Mehring und Clara Zetkin, die "Gruppe Internationale". Daraus ging 1916 der reichsweite "Spartakusbund" hervor, dessen "Spartakusbriefe" Luxemburg mit Liebknecht zusammen herausgab. In der Novemberrevolution nahm die Gruppe diesen Namen an. Er erinnerte bewusst an den Sklavenanführer Spartacus im antiken römischen Reich. Darin sammelten sich die entschiedensten Kriegsgegner der SPD, die die Stillhaltepolitik vehement ablehnten. Sie versuchten, die Partei zur Rückkehr zu ihren Vorkriegsbeschlüssen zu bewegen und ihr den Generalstreik für Frieden und das Ziel der internationalen proletarischen Revolution nahe zu bringen.
Im Dezember lehnte Karl Liebknecht zunächst als einziger SPD-Reichstagsabgeordneter weitere Kriegskredite gegen die Fraktionsdisziplin ab. Er wurde bald darauf zum Kriegsdienst eingezogen. Rosa Luxemburg musste 1915 ihre Haftstrafe in Berlin antreten. Als sie ein Jahr später entlassen wurde, wurde sie schon drei Monate später wieder, dieses Mal zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Juli 1916 begann ihre "Sicherheitsverwahrung". Sie wurde zweimal verlegt, zuerst nach Posen, dann nach Breslau. Auch Liebknecht war, nachdem er zu einer Antikriegsdemonstration am 1. Mai aufgerufen und dabei geredet hatte, ab 1916 als Hochverräter inhaftiert.
Im Gefängnis setzte Rosa Luxemburg ihr politisches Engagement fort und verfasste einige Aufsätze, die ihre Freunde herausschmuggelten und illegal veröffentlichten: darunter »Die Krise der Sozialdemokratie« unter dem Pseudonym "Junius" (erschienen Juni 1916). Darin rechnete sie mit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung und der reaktionären Rolle der SPD ab, deren Wesen der Raubkrieg offenbart habe. Lenin kannte diese Schrift und antwortete sofort darauf, ohne zu ahnen, wer sich hinter dem Pseudonym verbarg.
Berühmt wurden auch Rosa Luxemburgs sehr persönliche "Briefe aus dem Gefängnis" an ihre Freundinnen Mathilde Jakob und Sonja Liebknecht.
Im Frühjahr 1917 weckte der Sturz des Zaren in Russland zunächst Hoffnungen auf ein baldiges Kriegsende. Doch die „Menschewiki“ setzten den Krieg gegen Deutschland fort. Dort kam es im März in vielen Städten zu monatelangen Protesten und Massenstreiks: zuerst gegen Mangelwirtschaft, dann gegen Lohnverzicht und schließlich gegen Krieg und Monarchie.
Im April 1917 griffen die USA in den Krieg ein. Nun gründeten die Kriegsgegner, die aus der SPD ausgeschlossen worden waren, die USPD, die rasch Zulauf gewann. Obwohl der Spartakusbund die Parteispaltung bis dahin abgelehnt hatte, trat er der neuen Linkspartei nun bei. Er behielt aber seinen Gruppenstatus, um weiterhin für konsequente Revolution zu werben.
Während die SPD unter Friedrich Ebert im Reichstag erfolglos versuchte, die Oberste Heeresleitung zu Friedensverhandlungen mit US-Präsident Wilson zu gewinnen, ermöglichte diese Lenin die Durchreise aus seinem Schweizer Exil nach St. Petersburg. Dort gewann er die Führung der Bolschewiki und bot den Russen sofortigen Separatfrieden mit Deutschland an. Im Oktober gewannen die Bolschewiki damit eine Mehrheit im Volkskongress, doch nicht in der Duma, dem russischen Nationalparlament. Sie besetzten es, lösten es auf und setzten die Arbeiterräte (Sowjets) als Regierungsorgane ein.
Rosa Luxemburg ließ sich fortlaufend über diese Ereignisse informieren und schrieb dazu den Aufsatz "Die Russische Revolution": Darin begrüßte sie Lenins Umsturzversuch, kritisierte aber zugleich scharf seine Strategie und warnte vor einer Diktatur der Bolschewiki. In diesem Zusammenhang formulierte sie den berühmten Satz: "Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden." Ihre Kritik an Lenin wurde jedoch erst nach ihrem Tod veröffentlicht. Trotz ihrer Vorbehalte rief sie nun unermüdlich zu einer deutschen Revolution nach russischem Vorbild auf und forderte auch eine "Diktatur des Proletariats". Sie grenzte diesen Begriff aber gegen Lenins Parteikonzept ab und verstand darunter die demokratische Eigenaktivität der Arbeiter im Revolutionsprozess, Betriebsbesetzungen, Selbstverwaltung und politische Streiks bis zur Verwirklichung sozialistischer Produktionsverhältnisse.
Novemberrevolution, KPD-Gründung, Tod (1918-1919)
Anfang 1918 kam es in den Rüstungsbetrieben erneut zum wochenlangen Januarstreik, der nur durch Eberts Eintritt in die Streikleitung beendet werden konnte. Damit rückte eine deutsche Revolution nach russischem Vorbild näher, da sich nun unabhängig von beiden Linksparteien eine eigenständige Kraft in den Betrieben gebildet hatte.
Während sich immer mehr Deutsche nach Frieden sehnten und den Krieg nicht mehr mitzutragen bereit waren, setzte die Frühjahrsoffensive der OHL unter General Ludendorff nochmals auf einen "Siegfrieden". Sie endete am 8. August mit dem Durchbruch der Entente an der Westfront. Daraufhin wurden Regierung und Verfassung auf Verlangen der OHL am 5. Oktober umgebildet: Der Reichstag wurde erstmals an der Regierungsbildung beteiligt, Max von Baden wurde Reichskanzler, die SPD trat mit einem Minister in die Regierung ein und diese bat die Entente um Waffenstillstandsverhandlungen.
Die Spartakisten sahen die Verfassungsänderung als Täuschungsmanöver zur Abwehr der kommenden Revolution und stellten nun reichsweit ihre Forderungen nach einem grundlegenden Umbau der Gesellschafts- und Staatsordnung.
Nachdem Admiral Reinhard von Scheer die Flotte eigenmächtig zu einer Entscheidungsschlacht auslaufen lassen wollte, leitete der Kieler Matrosenaufstand Anfang November die Novemberrevolution ein. Sie erreichte am 9. November Berlin, wo an diesem Tag zweimal die Republik ausgerufen wurde, und zwang den Kaiser zur Abdankung. Am 10. November 1918 wählte der neu einberufene Berliner Rätekongress ("Zirkus Busch") den 6-köpfigen "Rat der Volksbeauftragten" mit je 3 Vertretern von SPD und USPD als Übergangsregierung. Zu deren Kontrolle wurde ein "Vollzugsrat" aus 46 Räten gebildet, der ebenfalls paritätisch besetzt war. Außerdem wurde ein Reichsrätekongress geplant, der eine neue Verfassung und Wahlen vorbereiten sollte. Die Umwandlung des Reiches in eine sozialistische Demokratie wurde als Vorlage für dieses Revolutionsparlament beschlossen.
Am selben Tag traf Rosa Luxemburg, die zwei Tage zuvor aus der Breslauer Haft entlassen worden war, in Berlin ein. Der ebenfalls befreite Karl Liebknecht hatte bereits den Spartakusbund reorganisiert. Beide gaben dann gemeinsam die Zeitung "Rote Fahne" heraus, um täglich auf die Entwicklung Einfluss zu nehmen. In einem ihrer ersten Artikel forderte Rosa Luxemburg über die Amnestie für alle politischen Gefangenen hinaus die Abschaffung der Todesstrafe.
Ebert wollte den geplanten Reichsrätekongress verhindern und beorderte dazu zusätzliches Militär nach Berlin. Bereits am Abend des 10. November hatte er sich heimlich mit Ludendorffs Nachfolger General Wilhelm Groener auf eine Zusammenarbeit gegen die Revolutionäre verständigt. Am 6. Dezember kam es zu ersten Schießereien. Vier Tage später zog die Garde-Kavallerie-Schützendivision in Berlin ein.
Rosa Luxemburg vermutete früh Eberts Bestreben, Reichswehreinheiten gegen Berliner Arbeiter einzusetzen. Sie forderte nun alle Macht für die Räte, die möglichst gewaltlose Entwaffnung und die Umerziehung der heimgekehrten Soldaten.
Der Reichsrätekongress fand vom 16.-20. Dezember ohne die Spartakisten statt. Eine Mehrheit stimmte dort für parlamentarische Wahlen und die Selbstauflösung der Arbeiterräte. Aber man setzte auch eine Kontrollkommission für das Militär und eine "Sozialisierungskommission" ein, um das Regierungsprogramm noch vor den Wahlen umzusetzen und die vielfach geforderte Enteignung kriegswichtiger Großindustrie zu beginnen.
Bei Eberts Versuch, den Berliner Vollzugsrat zu entmachten und das arbeiterfreundliche Volksmarinekorps aufzulösen, kam es am 24. Dezember erneut zu Schießereien. Daraufhin verließ die USPD fünf Tage später die Übergangsregierung. Nun beauftragte Ebert Gustav Noske zur Aufstellung von weiteren Freikorps. Dieser zog immer mehr Militär um Berlin zusammen.
Am 1. Januar 1919 gründeten die Spartakisten und andere linkssozialistische Gruppen aus dem ganzen Reich die KPD. Rosa Luxemburg verfasste ihr Programm und trug es auf der Abschlussversammlung der Delegierten vor. Darin betonte sie, dass Kommunisten die Macht niemals ohne erklärten mehrheitlichen Volkswillen ergreifen könnten und würden. Ihre Empfehlung, an den kommenden Parlamentswahlen teilzunehmen, wurde jedoch mehrheitlich abgelehnt.
Am 5. Januar begann der eine Woche dauernde sogenannte "Spartakusaufstand", der den Linken die entscheidende Niederlage im Revolutionsverlauf beibrachte. Nachdem die SPD-Regierung den Berliner Polizeipräsidenten Emil Eichhorn, ein USPD-Mitglied, abgesetzt hatte, besetzten Arbeiter, die USPD und KPD nahestanden, das Berliner Zeitungsviertel, um zum Generalstreik und zu Eberts Sturz aufzurufen. Waffen wurden ausgegeben und Straßen verbarrikadiert. Karl Liebknecht trat in den "Revolutionsausschuss" ein. Zwei Tage lang wurde das Vorgehen beraten und vergeblich versucht, einige Berliner Regimenter für das eigene Vorhaben zu gewinnen. Die USPD-Vertreter verhandelten mit Ebert, bis bekannt wurde, dass der "Vorwärts" zur "Stunde der Abrechnung" aufrief. Nun brach man die Gespräche ab. Daraufhin setzte Ebert die Reichswehr und die Freikorps gegen die Aufständischen ein. Hunderte von ihnen wurden erschossen: darunter auch viele Unbewaffnete, die sich schon ergeben hatten.
Rosa Luxemburg hatte vor diesen Folgen gewarnt und Liebknecht wegen dieses verfrühten und dilletantischen Aufstandsversuchs scharf kritisiert. Die Spartakusführer mussten nun untertauchen. In Flugblättern war schon seit Anfang Dezember zum Mord an ihnen aufgerufen worden. Großindustrielle hatten damals eine "Antibolschewistische Liga" gegründet, die Industrieverbandschef Hugo Stinnes im Januar mit 500 Millionen Reichsmark ausstattete. Aus diesem Fonds wurden die Anwerbung und Ausrüstung der Freikorps sowie Belohnungen zur Festsetzung und Ermordung von Spartakisten bezahlt.
In ihren letzten Lebenstagen ging es Rosa Luxemburg gesundheitlich sehr schlecht. Aber trotz starker Schmerzen setzte sie ihren täglichen Einsatz für einen Erfolg der Revolution fort. In ihrer letzten Veröffentlichung in der "Roten Fahne" bekräftigte sie nochmals ihr unbedingtes Vertrauen auf das Volk, das aus seinen Niederlagen lernen könne und die künftige Revolution zum Sieg führen werde.
Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Wilmersdorf entdeckt, festgenommen und der Garde-Kavallerie-Schützendivision übergeben. Sie wurden im Hotel Eden verhört und schwer misshandelt. Wahrscheinlich nach Rücksprache mit der Regierung - Noske und der Heeresführung - ließ der Kommandant Waldemar Pabst sie anschließend ermorden. Der am Seitenausgang bereitstehende Jäger Otto Wilhelm Runge schlug Rosa Luxemburg beim Abtransport mit einem Gewehrkolben nieder: Dies sollte als spontanes Attentat "aus der Menge" wirken. Der Leutnant Hermann Souchon ermordete sie dann während der Fahrt mit einem aufgesetzten Schläfenschuss. Ihre Leiche wurde in den Landwehrkanal geworfen und dort erst am 1. Juni 1919 aufgefunden. Am 13. Juni wurde sie neben dem Grab von Karl Liebknecht in Berlin-Friedrichsfelde beigesetzt.
Nachspiele
Seit Jahresbeginn, besonders aber nach den Morden kam es im ganzen Reich zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen, die trotz der Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar bis Ende Mai anhielten. Noske setzte die Freikorps weiter ein und schlug einen Umsturzversuch nach dem anderen nieder. Dabei kam es zu einigen 1000 Toten, darunter vielen profilierten Arbeiterführern und Köpfen der Linken. Die Räterepublik in Bayern, die am 7. November gegründet worden war, konnte sich insgesamt 6 Monate halten.
Den Versuch der Generäle Kapp und Lüttwitz, eine rechtsgerichtete Militärdiktatur zu errichten, konnte ein Generalstreik 1920 noch einmal vereiteln und damit die Demokratie retten. Danach gewann die reaktionäre Rechte immer mehr die Oberhand. Politische Morde gegen als links oder liberal geltende Politiker waren an der Tagesordnung.
In diesem Klima wurden zwar einige der Täter des 15. Januar vor Gericht gestellt, aber ihre Prozesse wurden verschleppt und gegen geringe Strafen eingestellt. Die Mörder kamen - wie viele rechtsgerichtete Straftäter damals - nahezu ungeschoren davon. Die möglichen Auftraggeber wurden nicht einmal verfolgt, zumal Noske selbst die Strafverfolgung der Täter einstellen ließ. Eberts Geheimpakt mit Groener wurde durch Groeners eigene Aussage im "Dolchstoßprozess" 1925 aufgedeckt; ob er außerdem der Ermordung der Spartakisten zustimmte, konnte nie bewiesen werden.
Nach Adolf Hitlers Machtergreifung gewährten die Nationalsozialisten den verurteilten Mördern des 15. Januar 1919 Amnestie und Haftentschädigung. Ihr Anführer Pabst ging straffrei aus. Nach einer Zeit des Exils in der Schweiz kehrte er in die Bundesrepublik zurück, wo er sich den Neonazis anschloss. Er starb 1970. In seinem Nachlass fand sich ein Tagebuch mit folgendem Eintrag:
"Dass ich die Aktion ohne Zustimmung Noskes gar nicht durchführen konnte – mit Ebert im Hintergrund – und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar. Aber nur ganz wenige Menschen haben begriffen, warum ich nie vernommen oder unter Anklage gestellt worden bin. Ich habe als Kavalier das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert, dass ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit".
Schon in einem Spiegel-Interview von 1962 hatte Pabst erklärt, Noske habe seine Morde erlaubt, Ebert habe dies und die ausbleibende Strafverfolgung danach gedeckt. Der frühere Chef des Verfassungschutzes Günther Nollau hat versichert, Pabst habe ihm gegenüber die Mordaufträge gestanden. Ob dies eine Schutzbehauptung war, ist umstritten.

Rosa Luxemburgs politisches Denken
Der Marxismus als selbstkritische Methode der Kapitalismusanalyse
Rosa Luxemburg vertrat entschieden die Ideen des Kommunistischen Manifests von Karl Marx. Ihre Auffassung des marxistischen Denkens war jedoch nicht dogmatisch, sondern höchst kritisch:
"Marxismus ist eine revolutionäre Weltanschauung, die stets nach neuen Erkenntnissen ringen muss, die nichts so verabscheut wie das Erstarren in einmal gültigen Formen, die am besten im geistigen Waffengeklirr der Selbstkritik und im geschichtlichen Blitz und Donner ihre lebendige Kraft bewahrt."
So schrieb sie zweimal einen größeren Aufsatz über Karl Marx und kam darin zu ganz verschiedenen aktuellen "Anwendungen" seiner Grundideen. Für die Marx-Biographie von Franz Mehring (erschienen 1901) schrieb sie eine bis heute unübertroffene Zusammenfassung des "Kapital". Darin erklärte sie höchst anschaulich das Entstehen des Profits aus dem Lohngesetz, das dem Arbeiter immer einen Teil des Gegenwerts seines Produkts vorenthält (Band 1);
die Konkurrenzgesetze des Marktes, die den Unternehmer zwingen, seinen Profit wiederum gewinnbringend zu "realisieren", sowie das Kreditsystem, das Produktionsprozess und Warenverkehr in Gang hält (Band 2);
das Gesetz der "durchschnittlichen Profitrate", das die Verteilung des gesellschaftlich produzierten Reichtums bedingt und die zwangsläufig auftretenden "Krisen" in der kapitalistischen Ökonomie hervorruft (Band 3).
Diese Gesetzmäßigkeiten begründeten für sie die grundlegende Klassensolidarität der Kapitaleigner gegenüber den Produzenten, so dass die Überwindung von struktureller Ausbeutung nur durch die Aufhebung von Lohnarbeit und Klassenherrschaft denkbar ist .
Gemäß ihrer selbstkritischen Anwendung seiner Theorie gestand sie freimütig, dass Marx die ökonomischen Krisen nicht zureichend erklären konnte. In diese Lücke stieß ihr eigenes Hauptwerk vor: "Die Akkumulation des Kapitals", erschienen 1913. Darin trieb sie die marxistische Analyse der Funktionsmechanismen des Kapitalismus unter den Bedingungen des vom Imperialismus beherrschten Weltmarkts weiter voran.
Aus ihrer Arbeit als Parteidozentin ging ferner die "Einführung in die Nationalökonomie" hervor (begonnen 1907, im Gefängnis 1916 fortgesetzt, erschienen posthum 1925), die die materialistische Geschichtsauffassung, die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie und die Perspektive des revolutionären Sozialismus wiederum selbstkritisch, auf höchstem Niveau und zugleich allgemeinverständlich darstellte.
Sie gilt daher besonders seit dem Fall der Sowjetunion als eine, wenn nicht die legitime Vertreterin genuin marxistischen Denkens, die es zugleich originär weiterentwickelt hat.
Die Bekämpfung des Reformismus
Ein Jahr nach Aufhebung der Sozialistengesetze beschloss die SPD auf dem Parteitag in Erfurt 1891 ein neues Programm. Die Theorie, verfasst von Karl Kautsky, schrieb das Ziel einer langfristigen sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft fest. Der praktische Teil, verfasst von Eduard Bernstein, forderte allmähliche Erweiterung politischer Rechte, unter anderem das Frauenwahlrecht, kostenlose Allgemeinbildung, Arbeitsschutz, ein staatliches Gesundheitswesen.
Auf dem Weg zur Massenpartei wuchs in der SPD eine Schicht von Abgeordneten und Verwaltungsbeamten heran, die von ihren Posten lebten. Als Bernstein ab 1896 seine Artikelreihe zur Revision der Marxschen Zusammenbruchstheorie veröffentlichte, traf er deren Interessenlage. Er folgerte aus dem zeitweisen Ausbleiben von Krisen, dass der Kapitalismus sich als unerwartet dauerhaft erwiesen habe. Die SPD müsse ihre revolutionären Ziele daher aufgeben und sich ganz auf Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter konzentrieren: "Das Ziel ist mir nichts, die Bewegung ist alles."
Während der Parteivorstand den schwelenden Konflikt harmonisieren wollte, erkannte Rosa Luxemburg sofort, dass Bernstein damit den Existenzgrund der Sozialdemokratie angriff. Ihre Broschüre "Sozialreform oder Revolution" fasste ihre Antwort darauf zusammen:
Hätte Bernstein Recht, wäre die Sozialdemokratie überflüssig. Die automatische gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sei jedoch Utopie. Darauf zu warten verurteile die SPD wie Don Quichotte zum Scheitern.
Kartelle, Trusts, Aktiengesellschaften bewiesen nicht die allmähliche Selbstkontrolle und Demokratisierung des Kapitals, sondern seien Teil seines Konzentrationsprozesses.
Kommende Krisen seien unausweichlich, da die Produktivität ständig wachse, während der Weltmarkt dies nicht tun könne. Das zeitweise Ausbleiben von Krisen (das deutsche Reich erlebte damals bis 1910 eine längere Hochkonjunktur) widerlege Marx daher nicht.
Gewerkschaften könnten nur im Rahmen des Lohngesetzes ein möglichst großes Stück vom "Kuchen" des Unternehmerprofits abzuschneiden versuchen, aber damit die Ausbeutung nie überwinden.
Die Sozialdemokratie sei in der bürgerlichen Gesellschaft nur geduldet, solange sie stillhalte. Erst im Zusammenbruch des kapitalistischen Systems werde man ihr eine Machtbeteiligung erlauben.
Deshalb sei und bleibe die Revolution unbedingt notwendig. Die SPD müsse die Führung im Aufbau des nötigen Klassenbewusstseins übernehmen und die Selbsttätigkeit der Arbeiter fördern, nicht blockieren.
Diese teilweise prophetischen Sätze kränkten damals viele Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre, die sich Anerkennung durch Anpassung im Kaiserreich und Stimmengewinne durch Verzicht auf Revolution erhofften. Rosa Luxemburg stellte die Umwälzung der Produktionsverhältnisse damit aber nicht gegen den Alltagskampf für bessere Lebensbedingungen, sondern vertrat ein Ineinandergreifen beider Seiten des proletarischen Selbstbefreiungskampfes. Die Reformen sollten auch der politischen Bewusstseinsbildung der Arbeiter dienen und die Instrumentalisierung der SPD zum Klassenerhalt des Bürgertums verhindern.
Solidarität mit und Kritik an der Oktoberrevolution
Gleich nach der russischen Februarrevolution 1917, die den Zaren stürzte, schrieb Rosa Luxemburg einen Artikel darüber (Die Revolution in Russland, GW 4). Darin hob sie hervor, dass die Ereignisse in Wahrheit eine Revolution des Proletariats seien. Dessen Machtentfaltung habe zunächst die liberale Bourgeoisie an die Spitze der revolutionären Bewegung gestoßen. Aufgabe des russischen Proletariats sei nun, den imperialistischen Krieg zu beenden. Dazu aber müsse es gegen die eigene Bourgeoisie kämpfen, die den Krieg unbedingt brauchte und fortsetzen wollte. Der Krieg selber habe Russland reif für die sozialistische Revolution gemacht. Damit sei allerdings "auch das deutsche Proletariat (...) vor eine Ehrenfrage und eine Schicksalsfrage gestellt." (Ebd., S. 245)
Rosa Luxemburg sah hier die folgende Entwicklung exakt voraus und forderte eine weitere Revolution im Russischen Reich, um den Krieg zu beenden. Tatsächlich konnten sich die Menschewiki nicht einigen, gemeinsam den Krieg zu beenden. Sie waren ebenso wie die deutschen und französischen Sozialdemokraten im Nationalismus befangen, setzten „Frieden“ mit „Niederlage“ gleich und wollten Vorteile für ihr Land erobern. - Aber Rosa Luxemburg war auch klar, dass die Basis für eine erfolgreiche Revolution in Russland schwach war: Dort war das städtische Industrieproletariat viel weniger ausgeprägt als das rückständige ländliche Kleinbauertum. Daher setzte sie ebenso wie Lenin voraus, dass sein Umsturz nur Erfolg haben würde, wenn die deutsche Arbeiterklasse ebenfalls gegen den Krieg und für den Sozialismus aufstehen werde. Diese praktische Zusammenführung der russischen und deutschen Arbeiterbewegung zu einer gesamteuropäischen Revolution sah sie als ihre eigentliche Lebensaufgabe an.
Um den Krieg beenden zu können, musste Lenin das russische Parlament, die Duma zunächst auflösen und die Macht erobern. Rosa Luxemburg befürwortete dies, erkannte aber sofort, dass er damit nicht nur die „bürgerlichen“ Parteien, sondern auch die innerparteiliche Demokratie zu unterdrücken begann. Darum kritisierte sie bereits kurz nach der Oktoberrevolution sehr klar und scharf die Tendenz der Bolschewiki zur Diktatur. Denn Lenin glaubte, dass freie Diskussion und abweichende Meinungen „bürgerliche“ Relikte seien, die durch die „Diktatur des Proletariats“ (sprich: die Alleinherrschaft seiner Partei) überwunden werden müssten. Dies drohte auch die unbedingt nötige Mitwirkung und Führung der Arbeiter beim Aufbau des Sozialismus schon im Ansatz zu ersticken. Dagegen schrieb sie ihre berühmten Sätze:
"Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die 'Freiheit' zum Privilegium wird."
Doch stellte sie die Tendenz der Bolschewiki zu Diktatur und Privilegierung der revolutionären Elite sofort in einen historischen Kontext und erklärte sie aus dem "völlige(n) Versagen des internationalen Proletariats" – vor allem der SPD – gegenüber dem imperialistischen Krieg (Zur russischen Revolution, GW 4, S. 334). Trotz aller nötigen und berechtigten Kritik bleibe es Lenins Verdienst, die Revolution gewagt zu haben. Damit habe er den welthistorischen Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital international aufgerissen und bewusst gemacht:
"In diesem Aufreißen des sozialen Abgrunds im Schoße der bürgerlichen Gesellschaft, in dieser internationalen Vertiefung und Zuspitzung des Klassengegensatzes liegt das geschichtliche Verdienst des Bolschewismus, und in diesem Werk – wie immer in großen historischen Zusammenhängen – verschwinden wesenlos alle besonderen Fehler und Irrtümer der Bolschewiki." (Fragment über Krieg, nationale Frage und Revolution, GW 4, S. 366)
Nach der Oktoberrevolution werde es zur "geschichtlichen Verantwortung" der deutschen Arbeiter, nun selbst die Revolution zu machen und so den Krieg zu beenden (GW 4, S. 374). So sah sie zwischen Lenins Revolutionsversuch und den deutschen Massenstreiks für Frieden im Januar 1918 einen engen historischen Zusammenhang, versuchte ihn den Deutschen bewusst zu machen und aus dem Gefängnis heraus nach Kräften zu fördern.
Als die deutschen Volksaufstände im November 1918 den Kaiser entmachtet und zur Flucht gezwungen hatten, agitierte Rosa sofort wieder für die proletarische Revolution:
"Die Abschaffung der Kapitalsherrschaft, die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung – dies und nichts Geringeres ist das geschichtliche Thema der gegenwärtigen Revolution. Ein gewaltiges Werk, das nicht im Handumdrehen durch ein paar Dekrete von oben herab vollbracht, das nur durch die eigene bewusste Aktion der Masse der Arbeitenden in Stadt und Land ins Leben gerufen, das nur durch höchste geistige Reife und unerschöpflichen Idealismus der Volksmassen durch alle Stürme glücklich in den Hafen gebracht werden kann." (Der Anfang, GW 4, S. 397)
Anfang Dezember hatte Ebert den "Vollzugsrat", der den Rat der Volksbeauftragten" kontrollieren sollte, schon entmachtet. Nun forderte Rosa Luxemburg: Die Revolution verlange, dass die ganze Macht in die Hände der Masse, d.h. der Arbeiter- und Soldatenräte fällt. Das sei ihr Programm. Doch vom Soldaten – dem "Gendarmen der Reaktion" – zum revolutionären Proletarier sei noch ein weiter Weg. Das hieß: Das Militär, das bisher dem „Vaterland“ diente, muss erst noch lernen, seine Macht den Arbeitern unterzuordnen. Es muss also der politischen Kontrolle der Arbeiterräte unterstellt werden.
Dies wurde von der SPD-Führung verhindert, indem Ebert mit Reichswehrgeneral Groener gegen seine eigenen Wähler paktierte. Darauf reagierten die „Roten“ mit der Gründung der KPD. Diese stritt von Beginn an um ihr Verhältnis zum Parlamentarismus. Rosa Luxemburg warb erfolglos für ihre Teilnahme an den Wahlen zum Weimarer Reichstag, um auch dort auf Fortsetzung der Revolution hinzuwirken. Denn "Demokratie" und "Sozialismus" waren für sie letztlich dasselbe:
"Das Proletariat (...) ,wenn es die Macht (parlamentarisch!) ergreift, (...) soll und muß eben sofort sozialistische Maßnahmen in energischster, unnachgiebigster, rücksichtslosester Weise in Angriff nehmen, also Diktatur ausüben; aber Diktatur der KLASSE, nicht einer Partei oder Clique, Diktatur der Klasse, d.h. in breitester Öffentlichkeit, unter tätigster ungehemmter Teilnahme der Volksmassen, in unbeschränkter Demokratie."
Die Dialektik von Spontaneität und Organisation im Klassenkampf
In Rosas Luxemburgs Auffassung des Klassenkampfes ist die Wechselwirkung von Spontaneität und Organisation der Arbeiterklasse zentral. Deren spontanes, ungeplantes, auf aktuelle Herausforderungen reagierendes Handeln (z.B. Streiks gegen Lohnkürzungen) und ihre Organisationen (Gewerkschaften und Parteien) sind nicht von einander getrennt oder trennbar, sondern für sie zwei verschiedene „Momente“ des selben Prozesses, die einander bedingen.
Der elementare, spontane Klassenkampf selber schafft die theoretischen Einsichten über die historische Aufgabe des Proletariats. Und diese Einsichten heben den praktischen Kampf wiederum auf eine höhere Stufe. Durch den Kampf selbst gewinnen die Arbeiter die Erkenntnis der Aufgaben und Ziele ihrer Klasse. Dieser Lernprozess wirkt wiederum auf ihr Handeln zurück und verändert dessen Richtung zu immer konsequenteren, umfassenderen Zielen („Fortschritt“). Damit wollte Rosa Luxemburg zweierlei abwehren:
1. eine Alltagsarbeit der Arbeiterparteien und Gewerkschaften, die das Ziel der internationalen sozialistischen Revolution verliert und aufgibt („Opportunismus“, „Reformismus“, "Revisionismus");
2. Organisationsformen, die abheben, nicht mehr die wahren Arbeiterinteressen vertreten und diktatorisch erstarren („Zentralismus“, „Bürokratismus“).
Die produzierende Klasse selber ist und bleibt nach ihrer Auffassung das Subjekt der Revolution. Der "Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus" lässt sich also nicht theoretisch planen und von einer Eliteorganisation erzwingen, wenn die Arbeiterschaft selbst dazu nicht bereit, fähig und reif ist.
"Die Arbeiterklasse in allen Ländern lernt erst im Verlaufe ihres Kampfes kämpfen. (...) Die Sozialdemokratie (...), die nur die Vorhut des Proletariats ist, ein Teil der ganzen arbeitenden Masse, das Blut aus ihrem Blut und Fleisch von ihrem Fleische, diese Sozialdemokratie sucht und findet die Wege und besonderen Losungen des Arbeiterkampfes lediglich im Maße der Entwicklung dieses Kampfes, wobei sie aus diesem Kampf allein die Hinweise für den weiteren Weg schöpft." (In revolutionärer Stunde: Was weiter?, GW 1.2, S. 554)
Diese Spontaneität ist aber immer schon durch Organisation vermittelt, so wie Organisation sich durch Spontaneität vermitteln muss. Das heißt: Der Klassenkampf selbst schafft die Organisationen, die diesen Kampf weiterführen. Ohne eine Partei, die ihre Interessen politisch formuliert und unterstützt - nicht „vertritt“ - hätten spontane Arbeiterstreiks nur vorübergehend Erfolg, aber keine dauerhafte, die Gesellschaft insgesamt verändernde Kraft und Wirkung. Aber auch: Ohne diesen spontanen Kampf der Arbeiter selber würden deren Organisationen ihre Stoßrichtung, das politische Ziel des Sozialismus, alsbald wieder verlieren.
Die Geschichtsdeutung der DDR hat Rosa Luxemburg einen abstrakten 'Spontaneismus' vorgeworfen, der angeblich zum Scheitern der Novemberrevolution beitrug. Doch wie aus den Zitaten hervorgeht, wollte sie mit der Eigenaktivität der Arbeiter deren Organisationen stärken, so dass ihre Parteien das Gesamtinteresse des Proletariats immer wirksamer ausdrücken und durchsetzen können.
Diese Theorie des Klassenkampfes entstand ihrerseits nicht akademisch, sondern in Folge der realen Ereignisse. Um 1900 brachen in Europa, besonders in Russland und Polen immer mehr und größere Massenstreiks aus. Sie führten zur russischen Revolution von 1905, in deren Verlauf der Zar dem Volk teilweise demokratische Rechte – wie die Gründung eigener Parteien – zugestehen musste. Unter diesem Eindruck entwickelte Rosa Luxemburg als Parteidozentin der SPD ihre „Dialektik“ des Klassenkampfs, der auch ihre Haltung in der "Massenstreikdebatte" bestimmte. Dabei versuchte sie, die Erfahrungen der russischen und polnischen Arbeiter für die SPD zu nutzen und fruchtbar zu machen.
"Die moderne proletarische Klasse führt ihren Kampf nicht nach irgendeinem fertigen, in einem Buch, in einer Theorie niedergelegten Schema; der moderne Arbeiterkampf ist ein Stück in der Geschichte, ein Stück der Sozialentwicklung, und mitten in der Geschichte, mitten in der Entwicklung, mitten im Kampf lernen wir, wie wir kämpfen müssen. (...) Das ist ja gerade das Bewundernswerte, das ist ja gerade das Epochemachende dieses kolossalen Kulturwerks, das in der modernen Arbeiterbewegung liegt: dass zuerst die gewaltige Masse des arbeitenden Volkes selbst aus eigenem Bewusstsein, aus eigener Überzeugung und auch aus eigenem Verständnis sich die Waffen zu ihrer eigenen Befreiung schmiedet." (Der politische Massenstreik und die Gewerkschaften, GW 2, S. 465)
---Die Rolle der Arbeiterpartei---
Rosa Luxemburgs Kritik am Reformismus in der SPD und am Zentralismus in Lenins Partei sind zwei Seiten derselben Medaille: Sie erklären sich aus ihrer Theorie des Klassenkampfes. Sie verstand die Rolle der Arbeiterpartei als „Vorhut“ der Arbeiterklasse. Diese ist unmöglich von der Eigenbewegung dieser Klasse zu trennen, sondern geht aus ihr hervor und drückt sie bewusst aus. Der Kampf der Arbeiter schafft sich die ihm gemäße Organisationsform, nicht umgekehrt. Dann, hoffte sie, kann sich das Partei-Interesse nicht gegen das Arbeiterinteresse stellen und verkehren.
Die Arbeiterpartei hat der arbeitenden Masse nur die Einsicht in die Notwendigkeit der Revolution und des Sozialismus voraus. Sie war für Rosa Luxemburg daher nicht – anders als für die orthodoxen Sozialdemokraten der 2. Internationale – Folge der wissenschaftlichen Einsicht in die historische Notwendigkeit des Sozialismus, also ein Konstrukt des Geistes. Sondern sie sah die Partei als Produkt des tatsächlich praktizierten, teils spontanen, teils organisierten Klassenkampfes. Nicht der Kopf schafft die Hand, sondern die Hände beflügeln das Denken des Kopfes zu immer wirksameren Taten.
"Die Sozialdemokratie ist nichts anderes als die Verkörperung des Klassenkampfes des modernen Proletariats, der vom Bewusstsein über seine historischen Konsequenzen getragen wird. Ihr eigentlicher Führer ist in Wirklichkeit die Masse selbst, und zwar dialektisch in ihrem Entwicklungsprozess aufgefasst. Je mehr sich die Sozialdemokratie entwickelt, wächst, erstarkt, um so mehr nimmt die aufgeklärte Arbeitermasse mit jedem Tage ihre Schicksale, die Leitung ihrer Gesamtbewegung, die Bestimmung ihrer Richtlinien in die eigene Hand. Und wie die Sozialdemokratie im ganzen nur die bewusste Vorhut der proletarischen Klassenbewegung ist, die nach den Worten des Kommunistischen Manifestes in jedem Einzelmoment des Kampfes die dauernden Interessen der Befreiung und jedem partiellen Gruppeninteresse der Arbeiterschaft gegenüber die Interessen der Gesamtbewegung vertritt, so sind innerhalb der Sozialdemokratie ihre Führer um so mächtiger, um so einflussreicher, je klarer und bewusster sie sich selbst nur zum Sprachrohr des Willens und Strebens der aufgeklärten Massen, nur zu Trägern der objektiven Gesetze der Klassenbewegung machen." (Der politische Führer der deutschen Arbeiterklasse, GW 2, S. 280).
Sie kann dieses Bewusstsein nur verbreitern, zuspitzen, fördern, aber nicht eigentlich schaffen. Das tun vielmehr die inneren Widersprüche des Kapitalismus, der Gegensatz von Kapital und Arbeit. Dieser setzt immer wieder die proletarische Revolution auf die politische Tagesordnung. Diese selbst, nicht die Partei, wird die Massen zu Revolutionären schulen:
"Die Geschichte ist die einzige wahre Lehrmeisterin, die Revolution ist die beste Schule des Proletariats. Sie werden dafür sorgen, dass die 'kleine Schar' der Meistverleumdeten und -verfolgten Schritt um Schritt zu dem wird, wozu ihre Weltanschauung sie bestimmt: zur kämpfenden und siegenden Masse des revoluti-onären sozialistischen Proletariats." (GW 4, S. 478)
Aufgabe der Partei ist es, die rückständigen Massen zur Selbständigkeit zu erziehen, sie zu befähigen, selbst die Macht zu übernehmen. Sie kann nur das Bewusstsein der Arbeiterklasse über ihre historische Mission – das „subjektive“ Element – schulen. Die Umwandlung der Produktionsverhältnisse – das „objektive“ Sein – aber kann nur die Arbeiterklasse selbst vollbringen.
Die Bekämpfung der falschen Interessenvertretung
Eine Partei, die die Arbeiter „vertritt“ und bevormundet – etwa in Parlamenten oder in einem „Politbüro“ – und nicht mit ihnen, sondern an ihrer Stelle handelt, wird - das wusste Rosa Luxemburg aus bitterer Erfahrung - zwangsläufig nicht mehr für, sondern gegen sie handeln. Sie wird dann selbst zum Werkzeug derer, die die Revolution verhindern und ihre Erfolge zurückdrehen wollen. Dann müssen die Arbeiter auch eine so genannte „Arbeiterpartei“ bekämpfen.
So schrieb Rosa Luxemburg in der "Roten Fahne" vom 21. Dezember 1918: "In allen früheren Revolutionen traten die Kämpfer mit offenem Visier in die Schranken... In der heutigen Revolution treten die Schutzgruppen der alten Ordnung nicht unter eigenen Schildern und Wappen der herrschenden Klassen, sondern unter der Fahne einer sozialdemokratischen Partei in die Schranken. Würde die Kardinalfrage der Revolution offen und ehrlich: Kapitalismus oder Sozialismus lauten, ein Zweifel, ein Schwanken wäre in der großen Masse des Proletariats heute unmöglich."
Guy Debord kommentierte dies in "Die Gesellschaft des Spektakels" wie folgt:
"Wenige Tage vor ihrer Zerstörung entdeckte die radikale Strömung des deutschen Proletariats so das Geheimnis der neuen Bedingungen, die der gesamte vorherige Prozess geschaffen (und zu dem die Repräsentation der Arbeiter erheblich beigetragen) hatte: die spektakuläre Organisation der Verteidigung der bestehenden Ordnung, das gesellschaftliche Reich des Scheins, wo keine »Kardinalfrage« mehr »offen und ehrlich« gestellt werden kann. Die Repräsentation des Proletariats (die SPD-Führung) war in diesem Stadium zugleich der Hauptfaktor und das zentrale Ergebnis der allgemeinen Verfälschung der Gesellschaft geworden."
Darum müssen die Arbeiter den direkten Klassenkampf in der bürgerlichen Demokratie unbedingt fortsetzen. Er kann sich je nach den historischen Umständen in Parlamenten, aber auch gegen sie oder beides zugleich vollziehen. Tatsächlich hätte nur diese gesteigerte und durchgehaltene Eigenaktivität die SPD- und KPD-Führer vor dem "Abheben" im Verlauf der Novemberrevolution bewahren können. 1920 verhinderte nur ein Generalstreik noch einmal eine rechte Militärdiktatur und erzwang den Rücktritt der Generäle (Kapp-Lüttwitz-Putsch).
Doch dann lähmten die Parteiführer der Linken ihre Wähler, indem sie sich als einzig wahre Arbeitervertreter darstellten, sich gegenseitig verteufelten und erbittert bekämpften: mehr als den gemeinsamen Gegner. So gewann die Rechte die Vorhand – bis hin zur Abschaffung der Demokratie durch Paul von Hindenburg, Heinrich Brüning und Adolf Hitler.
Der Glaube an die proletarische Revolution
Rosa Luxemburgs letzte überlieferte Worte, geschrieben am Vorabend ihrer Ermordung, zeigen noch einmal ultimativ ihren Glauben an die Massen und an die unausweichliche Notwendigkeit der sozialistischen Revolution:
"Die Führung hat versagt. Aber die Führung kann und muss von den Massen und aus den Massen heraus neu geschaffen werden. Die Massen sind das Entscheidende, sie sind der Fels, auf dem der Endsieg der Revolution errichtet wird. Die Massen waren auf der Höhe, sie haben diese 'Niederlage' zu einem Glied jener historischen Niederlagen gestaltet, die der Stolz und die Kraft des internationalen Sozialismus sind. Und darum wird aus dieser 'Niederlage' der künftige Sieg erblühen. – 'Ordnung herrscht in Berlin!' Ihr stumpfen Schergen! Eure 'Ordnung' ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon 'rasselnd wieder in die Höhe richten' und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: Ich war, ich bin, ich werde sein!" (GW 4, S. 536)
Ihre Kritik an der Führung betraf nicht nur Friedrich Ebert, sondern auch Hugo Haase (USPD) und Karl Liebknecht (KPD), deren Besetzungsaktion im Januar 1919 miserabel geplant war. Eine riesige Menge wartender Demonstranten war damals bereit, die anrückenden Soldaten zu blockieren und zu entwaffnen, wurde aber von den Besetzern nicht einbezogen.
Rosa Luxemburgs Schluss-Satz entstammt der Bibel: Er umschreibt den Namen Gottes. Dieser wurde in der Befreiungsgeschichte des jüdischen Volkes offenbar (Exodus 3, 14): „Ich bin der `Ich bin´!“ oder, futurisch übersetzt, „Ich werde sein, der ich sein werde!“ Die Posaune erschallt als Fanfare des „jüngsten Gerichts“, das in historischen Befreiungskämpfen vorscheint (z.B. im Fall Jerichos Josua 6): Dann wird endgültig abgerechnet, werden alle Gewaltherrscher entmachtet, alle Kriegsmittel abgerüstet, Armeen aufgelöst, ungerechte Besitzverhältnisse umgewälzt, weltweit ewige Gerechtigkeit geschaffen (z.B. in der Vision vom Endgericht Daniel 7).
Die soziale Revolution war für sie also das, was der jüdisch-christliche Glaube „Reich Gottes“ nennt: eine endgültige Befreiung aller Menschen von ungerechten Verhältnissen. Sie „beerbte“ diese Tradition ebenso wie Karl Marx, indem sie umfassende irdische Gerechtigkeit als historische Tendenz aller Klassenkämpfe erhoffte und dafür kämpfte.
Wird diese jedoch nicht geschaffen, dann – auch das sah sie sehr klar voraus – droht der Menschheit ein Rückfall in unvorstellbare Barbarei. Das Bewusstsein dieses Entweder-Oder ist eine entscheidende Triebfeder zum Handeln. „Von allein“ kommt gar nichts! Dabei sind Rückschläge und Niederlagen des arbeitenden Volkes für dessen Lernprozess besonders wichtig: Gerade sie können das historische Bewusstsein für die unvermeidbare Notwendigkeit der Revolution schärfen. Nicht erst der „Endsieg“, sondern schon der immer neue Versuch, ihn herbeizuführen, ist daher der „Stolz“ der Arbeiterbewegung.
Rosa Luxemburgs Marxismus ist ein Glaube an die unzerstörbare Fähigkeit der Menschen, ihre Geschichte selbst zu bestimmen und zu einem Ziel zu führen, das alle, nicht nur eine Minderheit, vom Joch der Klassenherrschaft befreit. Dieser Glaube schöpft seine Kraft aus den realen historischen Anläufen und sozialen Bewegungen zu einer gerechten Weltgesellschaft.
Rosa Luxemburgs Wirkung und Rezeption
Rosa Luxemburg vertraute zeitlebens auf die ständige Lernfähigkeit der arbeitenden Menschen. Sie hatte ihre proletarische Überzeugung in der Zeit der Massenstreiks in Polen und Russland seit 1900 gefestigt. Ihr Internationalismus im Rahmen der SPD als führender Partei der europäischen Sozialisten war weitsichtig und auf eine praktische Kriegsverhinderung ausgerichtet. Darin war sie mit Lenin einig. Aber anders als dieser glaubte sie nicht an einen Automatismus oder gar Determinismus der internationalen Revolution im Gefolge der Verelendung und des Zusammenbruchs des Kapital-Herrschaft durch den Krieg.
Ihr Vertrauen auf die Spontaneität der Arbeiterklasse, die aus ihren Niederlagen lernt, wurde im Kriegsverlauf bestätigt. Aus den Enttäuschungen mit der SPD-Führung entstanden neue, ungeahnte Formen der Selbstorganisation besonders bei den Arbeitern der deutschen Rüstungsindustrie. Ihnen fehlte jedoch eine parteipolitisch wirksame Organisation. Die Spartakisten waren unter dem Druck der Illegalität nicht in der Lage, die USPD und die Rätebewegung rechtzeitig auf gemeinsames revolutionäres Handeln hin zu orientieren. Im Scheitern der Novemberrevolution zeigte sich, dass Spontaneität und Organisation nicht aufeinander abgestimmt handelten, so dass die Gegenrevolution siegte.
Die Morde an den beiden Spartakusführern gehören vermutlich zu den folgenreichsten politischen Morden des 20. Jahrhunderts. Denn mit ihnen begann die unversöhnliche Feindschaft zwischen SPD und KPD in der Weimarer Zeit, die Adolf Hitlers Aufstieg begünstigt hat. Mit ihnen war die Hoffnung auf einen menschlichen Sozialismus, der demokratische Reformen und revolutionäre Umgestaltung der Produktionsverhältnisse verbindet, nachhaltig zerbrochen.
Das Scheitern der deutschen Revolution wirkte auch auf die sowjetische Entwicklung zurück: Lenin, der die russische Oktoberrevolution im festen Vertrauen auf den Erfolg der deutschen Sozialisten gewagt hatte, nahm infolge des Bürgerkriegs nach dem Kronstädter Aufstand die Rätedemokratie auf Betriebsebene 1921 wieder zurück und verordnete die "Neue Ökonomische Politik", um seine Macht zu stabilisieren. Damit ebnete er seinem Nachfolger Stalin den Weg zur Alleinregierung. Unter diesem pervertierte der Marxismus zu einer totalitären Herrschaftsideologie und Absicherung der Ein-Parteien-Diktatur mit bürokratisch-feudalistischen Zügen, Geheimpolizei-Terror, Arbeitslagern und Deportationen, Nationalismus, Militarismus, brutaler Industrialisierung und einem faschistoiden Personenkult.
Anfangs verehrte die junge Sowjetunion Rosa Luxemburg als eins ihrer besten Vorbilder und Verbündeten. Da ihre Imperialismus-Theorie jedoch von der Lenins abwich, sie seine Strategie bereits unmittelbar nach der Oktoberrevolution angegriffen hatte und die deutschen Reformisten dies stets als antikommunistische Munition benutzten, wurde sie bald auch dort ideologisch und politisch herabgesetzt. Stalin schrieb ihr 1931 die Erfindung der Theorie von der "permanenten Revolution" zu und unterstellte ihr damit entgegen der Fakten nachträglich eine verschwörerische Feindseligkeit gegen Lenins Revolutionsversuch. Trotzki nahm sie dagegen 1932 in Schutz. Fortan wurden ihre Positionen zur Spontaneität der Arbeiterklasse und zur Rolle der Partei im Staatskommunismus des Ostblocks stets als "Luxemburgismus" denunziert.
Rosa Luxemburg hatte immer die Einheit und Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse und die Abhängigkeit der Arbeiterorganisationen von dieser Basis betont, um deren Verselbstständigung zu verhindern. Doch seit 1923 verteufelten sich Sozialdemokraten und Kommunisten zunehmend gegenseitig mit Totalitarismus- bzw. Sozialfaschismus-Thesen. Wegen der engen Bindung der KPD an die Kommunistische Internationale unter Führung Stalins wies die SPD ihre späten Angebote an eine gemeinsame "Volksfront" gegen die Harzburger Front der erstarkenden Rechtsparteien 1931 zurück.
In der DDR wurde aus diesem Versagen nach sowjetischem Muster die Zwangsvereinigung von Ost-SPD und KPD zur SED abgeleitet. Die demokratische Herrschaft der Arbeiterklasse über Wirtschaft, Gesellschaft und Staat wurde dekretiert und nicht realisiert. Dies machte der 17. Juni 1953 offenkundig. Rosa Luxemburgs Gesamtwerk wurde in der DDR erst seit 1970 veröffentlicht. Schriften, die ihre Kritik an Lenin, ihre radikaldemokratische, staatskritische und tendenziell pazifistische Haltung zeigten, wurden dabei stets als "Irrtümer" zensiert.
In einigen Ländern der blockfreien Bewegung wie dem früheren Jugoslawien unter Tito war der Todestag Rosa Luxemburgs ein gesetzlicher Feiertag. In den Demokratisierungsbewegungen und Reformanläufen im Ostblock spielte sie oft eine Rolle als Vorbild, auf das man sich gegen die eigenen Chefideologen berufen konnte. Je mehr die Opposition aber einen Systemwechsel anstrebte, desto mehr wurden der Marxismus insgesamt und damit auch Luxemburgs politische Ideen und Ziele abgelehnt.
Andererseits fand ihr Denken besonders in der "Neuen Linken" der 60-ger Jahre viele begeisterte Anhänger. Rudi Dutschke übernahm ihr Verständnis von Sozialismus als lebendiger, antiautoritärer, radikaler, von allen arbeitenden Menschen getragenen Demokratie ebenso wie viele linke Intellektuelle in Frankreich. Aber auch Revolutionäre in Ländern der sogenannten "3. Welt" bezogen sich auf ihren Marxismus, der nicht moskauhörig sein und ihren Völkern eine Perspektive jenseits von Kapitalismus und Stalinismus eröffnen sollte.
Die SPD hat ihr Verhältnis zu Rosa Luxemburg bis heute nicht wirklich geklärt und Eberts Verhalten während der Novemberrevolution trotz scharfer Kritik auch aus den eigenen Reihen nie grundsätzlich verurteilt. Mit dem Parteitag von Bad Godesberg schloss sie 1959 die Reste des Marxismus, die nach 1945 erneut plausibel erschienen, aus ihrem Parteiprogramm aus. Unter Willy Brandt und Erhard Eppler wurde zwar teilweise ein "demokratischer Sozialismus" propagiert, der jedoch längst keine Sozialisierung von Produktionsmitteln mehr anstrebte.
Nur die Jungsozialisten haben bis weit in die 70-ger Jahre hinein marxistische Theoreme hochgehalten und sich dabei häufig auch auf Rosa Luxemburg berufen. Parteilinke wie Peter von Oertzen haben die Rätebewegung der Novemberrevolution gründlich erforscht und kamen zu dem Ergebnis, dass diese Demokratisierung der Großbetriebe eine ungelenkte, aus der krisenhaften Zuspitzung der Verhältnisse geborene spontane Entwicklung war, die Luxemburgs Thesen von der "Spontaneität" der Arbeiterklasse eindrucksvoll belegt habe.
Auffällig ist das erneute Interesse an Rosa Luxemburg in der Volksrepublik China. Im November 2004 fand in Kanton (China) ein Kongress zu ihr statt.
Die PDS hat seit der deutschen Einheit 1990 einen Lernprozess hinter sich und versucht, sich von ihren SED-Wurzeln zu lösen. Große Teile ihrer Wählerbasis sind jedoch weiterhin einer rückwärtsgewandten Idealisierung der DDR verhaftet. Der Todestag Rosa Luxemburgs ist ein jährlich wiederkehrendes Demonstrationsdatum in Berlin geworden.
Die Frauen-, die antimilitaristische Friedensbewegung und die Globalisierungskritiker finden in Rosa Luxemburg eine bedeutende Vorkämpferin. Dabei werden oft Einzelideen aus dem Gesamtkontext ihres Denkens und Handelns herausgelöst. Ihre Vision eines klassenbewussten Internationalismus, der der Selbstvernichtung der Völker im Zwang der Kapitalverwertung wirksam widersteht, ist unverändert aktuell und unerfüllt.

Literatur
Biographien
Paul Frölich: Rosa Luxemburg - Gedanke und Tat. Europäische Verlagsanstalt, Hannover 1991 ISBN 343445036X (Erstausgabe: Oetinger Verlag 1949)
Peter Nettl, Rosa Luxemburg, Frankfurt am Main, Wien, Zürich 1968
Frederik Hetmann, Rosa L. - Die Geschichte der Rosa Luxemburg und ihrer Zeit, Fischer TB Verlag 2132, Frankfurt am Main 1979 - ISBN 3596221323
Max Gallo: Rosa Luxemburg. Eine Biographie. Benziger Verlag, Zürich 1993 - ISBN 3545341143
Helmut Hirsch: Rosa Luxemburg in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Rowohlt Bildmonographien 158, Reinbek bei Hamburg 1969 - ISBN 3499501589
Donald E. Shepardson: Rosa Luxemburg and the Noble Dream, Peter Lang Publications Incorporated, New York 1996 - ISBN 082042739X
Harry Wilde: Rosa Luxemburg. Ich war, ich bin, ich werde sein. Heyne TB, München 1986 - ISBN 3453551443

Werke
R.L.: Gesammelte Werke, 5 Bände, Dietz Verlag, Berlin 1970–1975.
R.L.: Gesammelte Briefe, 6 Bände, Berlin 1982–1997.
R.L.: Politische Schriften. Herausgegeben und eingeleitet von Ossip K. Flechtheim. 3 Bände, Frankfurt am Main 1966 ff.
R.L.: Schriften zur Theorie der Spontaneität. Rowohlt Klassiker 249, Reinbek bei Hamburg 1970 - ISBN 3499452499
Ossip K. Flechtheim: Rosa Luxemburg zur Einführung. Junius Verlag, Hamburg 1985 - ISBN 3885068184
Frederik Hetmann (Herausgeber): Rosa Luxemburg. Ein Leben für die Freiheit - Reden, Schriften, Briefe. Fischer TB Verlag 3711
Charlotte Beradt (Herausgeber): Rosa Luxemburg im Gefängnis. Briefe und Dokumente aus den Jahren 1915-1918. Fischer TB Verlag 5659, Frankfurt am Main 1973 - ISBN 3596256593

Zeitgeschichte
Annelies Laschitza/ Günter Radczun, Rosa Luxemburg. Ihr Wirken in der deutschen Arbeiterbewegung. Dietz-Verlag, Bonn 1971 - ISBN B0000BS92X
Klaus Gietinger: Eine Leiche im Landwehrkanal – Die Ermordung der Rosa L., Verlag 1900, Berlin 2002 – ISBN 3930278022
Heinrich Hannover, Elisabeth Hannover-Drück: Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Dokumentation eines politischen Verbrechens. Lamuv Verlag, Göttingen 1989 - ISBN 3889771866
Sebastian Haffner: Der Verrat. Verlag 1900, Berlin 2002 - ISBN 3930278006
Wolfgang Abendroth: Einführung in die Geschichte der Arbeiterbewegung. Band 1. Distel Verlag, Heilbronn 1985 - ISBN 3923208197
Peter von Oertzen: Betriebsräte in der Novemberrevolution. Dietz Verlag, Bonn 1976, ISBN 3801210936

Film
1986 verfilmte Margarethe von Trotta mit Barbara Sukowa als Rosa Luxemburg das Leben der deutschen Revolutionärin. Der Film gewann den Bundesfilmpreis und Barbara Sukowa erhielt die Goldene Palme für ihre Darstellung auf dem Filmfestival in Cannes.

Weblinks
Kurzbiografie (http://www.dieterwunderlich.de/Rosa_Luxemburg.htm)
Längere Biographie (http://www.die-kaempferin.de)
Bibliographie (http://www.rosa-luxemburg-stiftung-sachsen.de/seiten/sti-bibliographie.html)
Rosa Luxemburgs wichtigste Schriften (http://www.mlwerke.de/lu/default.htm)
Deutsche Startseite des Marxists' Internet Archive (http://www.marxists.org/deutsch/archiv/index.htm)
Archiv Rosa Luxemburg im Marxists' Internet Archive (http://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/index.htm)
Tony Cliff (Ygael Gluckstein): Studie über Rosa Luxemburg (http://www.marxists.org/deutsch/archiv/cliff/1959/rosalux/index.htm)
Paul Levi (Herausgeber): Text "Die Russische Revolution", 1922 (http://www.glasnost.de/klassiker/luxem3.html)
Zur Novemberrevolution (http://www.novemberrevolution.de/)

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